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Sehenswertes in Renchen


Die Stadt Renchen liegt im nördlichen Teil des Ortenaukreises am Ausgang des Renchtals in die Oberrheinische Tiefebene. Das Stadtgebiet erstreckt sich überwiegend in den lößbedeckten Hügeln der breiten Ortenauer Vorbergzone. Es umfasst hier die feuchten Auen der Rench und ihrer Seitenbäche beim Austritt der Rench in die Rheinebene und erstreckt sich bis in die Kinzig-Murg-Niederung. Östlich des Stadtteils Ulm hat es Anteil an den mit Wein bestandenen West- und Südwest-Hängen des Talschwarzwaldes. Naturräumlich gehört das Gebiet zu den übergreifenden Einheiten der Offenburger Rheinebene im Westen sowie östlich anschließend der Ortenau-Bühler-Vorberge und des Nördlichen Talschwarzwaldes. Der höchste Punkt liegt auf 397,51 m, der tiefste Punkt auf 128,98 m. Die Stadt Renchen besteht neben der Kernstadt aus den Stadtteilen Erlach und Ulm. Diese ehemals selbstständigen Gemeinden wurden 1975 eingemeindet.

Mit der Stadt Oberkirch und der Gemeinde Lautenbach besteht eine Vereinbarte Verwaltungsgemeinschaft. Der Stadtteil Erlach gewann im Jahr 2006 beim Wettbewerb "Unser Dorf soll schöner werden" eine Silbermedaille und einen Sonderpreis. Die 1115 ersterwähnte Stadt gehört zu den frühen Ausbauorten. 1326 wurden der bisherigen Gemeinde die Stadtrechte verliehen. Nach verschiedentlichem Adelsbesitz kam 1070 größerer Grundbesitz mit der Ullenburg (Ulm) an Straßburg. Auch die Klöster Reichenbach und Allerheiligen erwarben ab 1115 Grundbesitz. Die Herrschaftsrechte waren wohl mit der Ullenburg verbunden und wurden mit dieser von den Bischöfen von Straßburg an die Zähringer verliehen. Nach deren Aussterben wurden sie unter anderem an Baden und Leiningen verliehen. 1331 wurde der Ort niedergebrannt und verlor seinen Stadtcharakter, blieb aber Sitz eines Straßburgischen Gerichts. 1803 kam die Gemeinde mit der Straßburgischen Herrschaft Oberkirch an Baden und wurde zunächst dem Bezirksamt Oberkirch, nach 1936 dem Bezirksamt, ab 1939 Landkreis Kehl zugewiesen. (LEO-BW)

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Heilig Kreuz Renchen & Grimmelshausen-Denkmal


Erbaut wurde die Hallenkirche 1816/17 nach Plänen von Friedrich Weinbrenner (1766-1826), geweiht wurde die Kirche Hl. Kreuz am 19. Oktober 1817Erbaut wurde die Hallenkirche 1816/17 nach Plänen von Friedrich Weinbrenner (1766-1826), geweiht wurde die Kirche Hl. Kreuz am 19. Oktober 1817.

Ab 1800 entwickelte Friedrich Weinbrenner als Baudirektor des Großherzogtums Baden einen klassizistischen Stil, den nach ihm benannten Weinbrennerstil, welches das Stadtbild von Karlsruhe prägte.

(Von Weinbrenner stammen u.a. Kirchen und öffentliche Gebäude in Karlsruhe, das Kurhaus in Baden-Baden, die Kirchen in Renchen und Heitersheim.) Geweiht wurde die Kirche Hl. Kreuz am 19. Oktober 1817. (Webseite Renchen)

Joseph Sauer - Die kirchl. Kunst der ersten Hälfte des 19. Jahrh. in Baden (Herder 1933) - Seite 400 - 402

Renchen(270). Schon 1795 befand sich die alte Kirche in einem "völlig baulosen Zustand".

Wiederholt erschreckte während des Gottesdienstes ein plötzliches Krachen im Gebälk und Mauerwerk derart die Gläubigen, daß alles die Flucht ergriff, so auch zweimal in den Weihnachtstagen, woran "ein eiliges Entfliehen und abermalige Beschädigung mehrerer Personen geschah", und wenige mehr sich in die Kirche wagten und "der ungleich größere Teil in Forcht und Ängsten vor den Fenstern und Türen stehen blieb".

Die Gemeinde beschloß jetzt beim Bauerngericht die Errichtung einer Notkirche, "einer Hütte aus Bauholz mit Verkleidung" auf dem Kellerplatz des Schwarzacher Klosters, wofür sie sich aber einen Verweis der bischöflichen Regierung in Straßburg zuzog wegen nicht eingeholter Genehmigung.

Bei der langen Dauer dieses Zustandes, der schlechten Akustik und der mangelhaften Beschaffenheit dieser Notkirche, die weder gegen Kälte noch gegen Regen und Wind genügend Schutz bot und nach Auffassung des Amtes Appenweier eher einem Schafstall denn einem Gotteshaus glich, starb der Pfarrer frühzeitig und sein Nachfolger bekam, wie er 1811 klagte, einen Blutsturz in der Blüte der Jahre.

Risse lagen um diese Zeit zwar schon vor, aber es war nicht abzusehen, wann sie ausgeführt werden sollten. Darum bat Kommissar Burg, 27. März 1811, das Generalvikariat um nachdrückliche Betreibung dieser Kirchenbauangelegenheit. Bezüglich des Risses bemerkte er grundsätzlich:

"Dem hochwürdigsten Generalvikariat sind meine Grundsätze, nach welchen ich wünschte, daß neue Kirchen gebaut würden, schon aus früheren Berichten bekannt. Chor- und Seitenaltäre sind z. B. gegen meine Ideen. Der Zeitpunkt mag aber noch ferne sein, wann dieser Gedanke sollte realisiert werden. Und doch wäre dessen Ausführung wegen des deutsch einzuführenden Ritus notwendig."

Aber auch nach anderer Seite befriedigten diese anscheinend von der Gemeinde bestellten Risse, vermutlich des Architekten Voß in Lahr nicht; auf Anregung des Amtes Appenweier forderte daher das Kinzigkreisdirektorium (18. Mai 1811) den herrschaftlichen Baumeister Krämer auf, alsbald eine Lokalbesichtigung vorzunehmen und den vorgelegten Plan in der Weise abzuändern, daß der alte noch brauchbare Turm erhalten bliebe; doch bestand auch dieser Fachmann in seiner Revision des überschlages auf Abbruch des nur aus Wackensteinen aufgebauten Kirchturms; sein eigener Plan, dessen Kosten auf 36.000 fl. berechnet war, kam bei keiner Stelle ernstlich in Frage. 1812 war Frommel vom Bauamt Karlsruhe in Renchen und 1815 legte Prof. Öhl in Rastatt einen Diätenzettel vor; im Herbst 1815 kam Oberbaudirektor Weinbrenner zum Augenschein.

Die Frage der Mittelbeschaffung brachte der baupflichtigen Gemeinde indes noch auf einige Jahre schwere Sorgen, um so mehr, als sie auch nochmals eine zweite Notkirche erstellen mußte, da die bisherige in den langen Jahren morsch geworden war. An Chor, Sakristei und Turm hatte die Landesherrschaft als zehntberechtigt die Baulast, am Langhaus aber die Pfarrei bzw. die Gemeinde. Nach längeren Verhandlungen wurden ihr aber guttatsweise vom Kath. Kirchl. Departement ein Beitrag von 2.000 fl. überwiesen (22. Juni 1813) und aus dem Kirchen- und Bruderschaftsfond 14 / 15.000 fl. zu 1 1/2 Prozent Zinsen auf 20 Jahre geliehen.

Die Oberleitung der Bauarbeiten, die 1816 nach der Versteigerung am 1. Februar ihren Anfang nahmen und am 19. Oktober 1817 mit der Benediktion abgeschlossen wurden, hatte Baudirektor Weinbrenner selbst, die Bauausführung sein Schüler Prof. Ernst Öhl in Rastatt, der auch den ersten Riß verfertigt hatte. Zur Ausführung kam der neue von Weinbrenner selber entworfene II. Riß mit einer Kostenberechnung von 25.875 fl, daher verlangte das Kreisdirektorium auch (22. Mai 1816), daß der Name des Oberbaudirektors in die Grundsteinurkunde komme. Die einschiffige Kirche weist in einfachster Form den Typ des Weinbrennerschen Klassizismus auf. Das Innere etwas nieder und gedrückt, war zuerst dreischiffig, mit Säulen, geplant. Der aus der Fassade aufwachsende Turm, nächstverwandt dem der evangelischen Kirche in Karlsruhe, wenig hoch, mit einem auf Konsolen ruhenden Balustradenaußengang etwas über Dachfirsthöhe und darüber die Schallöffnungen mit einem vom Bogenansatz aus umführenden Gurtgesims. Die Altäre mit Kanzel führte im Stil des Baues Stukkator Wehrle von Karlsruhe aus; sie wurden aber, weil sehr unbefriedigend, 1848 / 49 erheblich verbessert, und da der Erzbischof bei einem Firmungsbesuch den wenig religiösen Charakter der Altarbilder beanstandet hatte, wurden zwei neue Seitenaltarblätter bestellt, eines mit Darstellung des hl. Sebastian und eines mit dem Bilde der Gottesmutter bei Professor Booz in Rastatt.

Auf den Hochaltar kamen zu der älteren Statue der hl. Helena noch zwei neue der Hoffnung und Liebe, die Bildhauer Markus Wehrle von Rotenfels fertigte. Wehrle, der für seine Arbeit akkordmäßig 1.430 fl. erhielt, meldete sich nachträglich mit einer erheblichen Nachforderung und hinterließ in Renchen bei Geschäftsleuten, besonders beim Kronenwirt eine Schuldenlast von über 1.000 fl.; das Bezirksamt charakterisierte den Meister schlankweg als "Lumpen" von sehr leichtsinniger Lebensführung. 1857 wünschte der Stiftungsvorstand, daß die Altäre mehr dem gotischen Stil angepaßt werden sollten. Dagegen sprach sich aber Oberbaudirektor Hübsch aus, da die Altaraufsätze durch Verzierungen allein noch nicht gotisch würden; für den Stilcharakter der Kirche paßten eher Renaissance-Altäre.

270.)
Erzb. Archiv. Renchen: Kirchenbausachen. - Pfarrarchiv Kirche.
G.-L.-A. Berirksamt Appenweier (Oberkirch).
Renchen Kirchenbaulichkeiten. Fasz. 320 - 22, 325, 327 (Zugang 1924 Nr. 17).


Zum Grimmelshausendenkmal - Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen 1622 - 1676 - von Julius Petersen † - die Ortenau 1962 / 24 bis 41 (Auszug)


Für 2.500 Mark kam der Gedenkstein nach Renchen und wurde am 17. August 1879 dort feierlich eingeweiht. Aus dem Revolutionsdenkmal wurde ein PoetendenkmalGrimmelshausen ist aus einer Gelnhauser Handwerkerfamilie hervorgegangen, deren Ahnenreihe auf ein schon 1177 bezeugtes thüriingisches Adelsgeschlecht zurückreichen dürfte, das sich nach seinem Stammsitz im Meiningenschen de Grimoldeshusen nannte. Während für die Jugendgeschichte des früh seines Vaters Beraubten aus den Akten leider nicht viel zu gewinnen ist, eröffnet der Zusammenhang mit dem Namen Schauenburg einen reichen Quell späterer Lebensnachrichten.

In dem Regiment zu Fuß, das der Kommandant der Festung Offenburg, Freiherr Hans Reinhard von Schauenburg, als kaiserlicher Oberst 1639 anzuwerben hatte, befand sich der junge Mußqvetirer Grimmelshausen, der im Winter vorher als Dragoner des Feldmarschalls Grafen von Götz im Schwarzwald gelegen hatte. Seit 1645 ist er als Schreiber in der Regimentskanzlei des Obersten sicher nachweisbar. Im Juni 1648 finden wir ihn als Regimentssekretarius des bayerischen Obersten Freiherrn von Elter, der ein Schwager Schauenburgs war und als Oberstleutnant in seinem Regiment gestanden hatte. Am 30. August des nächsten Jahres ging er in Offenburg eine katholische Ehe ein und erhielt wenige Tage später durch das Vertrauen seines ehemaligen Kommandeurs eine ehrenvolle Versorgung als Schaffner des Schauenburgschen Gemeinbesitzes in dem Dorf Gaisbach im unteren Renchtal.

Nach zehnjähriger Schaffnertätigkeit, die er mit Pferdehandel und Weinbau sowie dem Betrieb einer Gastwirtschaft verband, verlor er indes infolge des unberechtigten Mißtrauens seiner Brotherren sein Amt und übernahm 1662 die Vogtei auf der benachbarten Ullenburg, die ein angesehener und reicher Mediziner aus Straßburg, Dr. Johannes Küffer d. J., sich als Sommersitz hatte herrichten lassen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Burgvogt bei dem kunstsinnigen Hausherrn erwas vom geistigen Leben Straßburgs zu verspüren bekam. Seit 1633 bestand dort der Dichterkreis der "Aufrichtigen Tannengesellschaft", zu dem Küffer Beziehungen unterhielt, und das Andenken des noch nicht lange von Straßburg weggezogenen großen Satirikers Johann Michael Moscherosch, der im nahen Willstätt geboren war, wurde in Ehren gehalten, so daß es nicht wundernehmen kann, wenn ein schriftstellernder Autodidakt auf dessen Spuren kam.

Aber schon im Frühjahr 1665 war es mit der Burgvogtei zu Ende, und Grimmelshausen kehrte in sein altes Gaisbacher Haus zurück, das er zur Wirtschaft "Zum Silbernen Stern" ausbaute. Er unterhielt seine Gäste von allem, was er in der Welt gesehen hatte, und hörte von ihnen, was im Volke umging. In den Rebleuten und Fuhrmännern der Umgegend, die bei ihm einkehrten, fand der volkstümliche Erzähler sein erstes Publikum. Aber er begehrte Diskurse höherer Art, wie er sie im Lieblingsbuch seiner Selbstbildung, dem "Allgemeinen Schawplatz" des Thomas Garzoni, zu finden gewohnt war: er griff abermals zur Feder und entwickelte sich aus dem berufsmäßigen Schreiber zum fabulierenden Schriftsteller. Wenn der Kern des Simplicissimus-Romans in der eigenen Entwicklungsgeschichte und in erlebten Kriegsschicksalen bestand, so mag die erste Gestalt bereits damals zu Papier gebracht worden sein. Es kamen wahrscheinlich sogar noch frühere Aufzeichnungen zur Verwertung, denn im "Beschluß" seines Romans bekennt der Dichter, daß er ihn "in seiner Jugend zum theil geschrieben, als er noch ein Mußqvetirer gewesen".

Die Grimmelshausenfeiern in Renchen 1876 und 1879 arrowRight

Als das umgearbeitete Werk nach Jahren im Druck erschien, wurde das Nachwort. aus "Rheinnec” datiert, und der Verfasser bezeichnete sich als "P. zu Cernhein". Rheinnec und Cernhein sind ebenso wie das andernorts gebrauchte Hereinen Anagramme von "Renichen", und P. bedeutet Praetor. Grimmelshausen war inzwischen (1667) bischöflich Straßburgischer Schultheiß des am Ausgang des Renchtals gelegenen Fleckens Renchen geworden. So vielseitig die Aufgaben dieses Amtes auch gewesen sind, so viel Freiheit muß es doch einer fleißigen Feder zur Fortserzung des literarischen Schaffens gelassen haben. Das hörte erst auf, als aufs neue die Kriegsfurie losbrach und im Sommer 1675 die Franzosen über den Rhein kamen, Das rechtsrheinische Land wurde zwar wieder frei, aber eine Wiederholung des französischen Einfalls drohte im folgenden Jahr.

Damals erteilte der kaiserliche Oberbefehlshaber von Freiburg aus den Befehl an die Bewohner der Gegend von Ettenheim, sich "zu gewöhr zu stellen", und es hat den Anschein, als ob der Schultheiß von Renchen diesem Mobilmachungsbefehl des Landsturms auch persönlich Folge leistete. Wenigstens macht der Renchener Pfarrer, der seinen am 17. August 1676 erfolgten Tod ins Kirchenbuc einträgt, in zweifelhaftem Latein Andeutungen von einem Kriegsdienst. Aber nicht auf dem Schlachtfeld, sondern in seinem Amtssitz hat der Tod den alten Kämpfer ereilt, und da er in den Vorreden vorausgehender Schriften (1671 / 72) über seinen Gesundheitszustand klagte, darf man sogar annehmen, daß er einem längeren Leiden erlag. Daß auch der Lorbeer literarischen Ruhms auf seinem Sarg nicht ganz fehlte, ist aus den Worten des Kirchenbuches zu entnehmen: "Honestus et magno ingenio et eruditione."

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Simplicissimus-Haus


Weit offenstehen soll es für moderne Kunst, Literatur und Musik - im Dialog mit Grimmelshausen, mit europäischen Dichtern und Erzählern der Barockzeit. Daß vor unserem Rathaus Giacomo Manzüs Jäger von Soest gleichsam Schildwache hält, ist ein gutes OmenDas Simplicissimus-Haus Renchen ist das erste konsequent rezeptionsgeschichtliche Literaturmuseum Deutschlands. Rezeptionsgeschichtlich deshalb, weil hier Text-Illustrationen zu den verschiedenen Werken Grimmelshausen von fast allen bedeutenden Künstlern des 20. Jahrhunderts zu sehen sind. Es ist dem Andenken Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen, dem größten Dichter des 17. Jahrhunderts gewidmet.

Es handelt sich um ein ca. 1760 erbautes ehemaliges Ackerbürgerhaus, unmittelbar neben dem Rathaus im Herzen der Stadt Renchen. 1984 wurde es von der Stadt Renchen erworben, mit der Absicht, hier ein Museum einzurichten. Zunächst fehlte jedoch das passende Konzept. Ein Heimatmuseum oder eine "Dichtergedenkstätte" im üblichen, traditionellen Sinne wollten wir nicht einrichten. Nur gut, dass man sich für das wissenschaftlich fundierte Ausstellungskonzept der "geistigen Vätern" dieses Museums Herrn Professor Dr. Martin Bircher, Zürich, und seinem ehemaligen Assistenten und heutigem Geschäftsführer von Schloss Wernigerode im Harz, Herrn Dr. Christian Juranek entschieden hat. Ziel ist es auch, dass das Simplicissimus-Haus mit seinen Räumen weit offen stehen soll für moderne Kunst, Literatur und Musik – im Dialog mit dem großen Erzähler des Barock.

Nach der erfolgreichen und aufwändigen, aber behutsamem Restaurierung, nach den beim Architektenwettbewerb im Jahre 1991 prämierten Entwürfen des Architekturbüros Adler + Retzbach aus Karlsruhe, erfolgte die Grundsteinlegung am 27. Mai 1997. Die Einweihung des Simplicissimus-Hauses fand dann am 2. Oktober 1998 statt.

Die Dauerausstellung mit Exponaten von teilweise außerordentlicher Qualität umfasst eine reiche und wohl einmalige Sammlung von Originalgraphiken und Zeichnungen verschiedener bekannter Künstler des 20. Jahrhunderts.

Der Hauptraum des Simplicissimus-Hauses ist dem Inhalt des berühmtesten Werks von Grimmelshausen, dem Roman des "Abentheuerlichen Simplicissimus Teutsch", gewidmet. Ein barocker Roman, der die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges schildert und wiedergibt.

Biograpie und Textproben - Johann Jakob Christof von Grimmelshausen arrowRight

Es befinden sich hier Originalzeichnungen u. a. von A. Paul Weber, Max Klinger, Walther Klemm, Erich Erler-Samaden, Hans Sauerbruch (einem Sohn des berühmten Chirurgen), Joseph Hegenbarth, dem Schweizer Künstler Max Hunziker, dem Österreicher Axl Leskoschek. Im ersten Obergeschoss von Claus Arnold, dessen Illustrationen und Entwürfe als künstlerisch ansprechende Etikette verschiedener Wein- und anderer hochgeistigen Flaschen zieren, von Udo Claaßen und dem in die USA emigrierten jüdischen Künstler Fritz Eichenberg sowie dem renommierten Leipziger Künstler Rolf Münzer.

Die Räume geben in chronologischer Reihenfolge einen Überblick über die verschiedenen Ausgaben von Grimmelshausen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges bzw. bis zu Beginn der Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts.

Das Konzept zur Gestaltung des Museumskellers wurde von Jürgen Goertz, einem renommierten deutscher Künstler und Träger bedeutender Kunstpreise, erarbeitet. Von ihm stammt auch die 1998 geschaffene Skulptur des "Fabeltiers" in dem freigelegten Seitengang des Kellers. (Webseite Simplicissimushaus Renchen)

Landrat Brodbeck in Ortenau 2001 - 237 ff

Zur Grundsteinlegung des Simplicissimus-Hauses - Renchen am 27. Mai 1997 - Klaus Brodbeck

Am 17. August 2001 jährt sich der Todestag des bedeutendsten deutschen Dichters des 17. Jahrhunderts Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen zum 325. Mal. Von der Entzifferung seiner Anagramme in seinen literarischen Werken im Jahre 1835 und dem damit erbrachten Nachweis, daß er der Verfasser der Simplicianischen Schriften ist, sollte es bis zum Jahre 1998 dauern, bis man ihm in Renchen eine bleibende und ihrer Konzeption nach einmalige Gedenkstätte geschaffen hat.

Der damalige Bürgermeister und heutige Landrat des Ortenaukreises, Klaus Brodbeck, hat zur Grundsteinlegung im Jahre 1997 einen Aufsatz verfaßt. Mit seinem Einverständnis veröffentlichen wir diesen anläßlich des bevorstehenden Gedenktages.

Aus Dankbarkeit, aber auch um der Nachwelt, die in ferner Zukunft vielleicht einmal die in den symbolischen Grundstein in die Kellerwand eingemauerten Dokumente entdecken wird, ein geschichtliches Zeugnis zu hinterlassen, fühle ich mich verpflichtet, die nachfolgenden Gedanken und Ausführungen abzufassen.

Als mir am 20. Dezember 1985 mein Amtsvorgänger Erich Huber die Amtsgeschäfte übergab, hat er mir besonders den Aufbau einer Erinnerungs- und Gedenkstätte für Johann Jakob Christoph von Grimmelshausen, den bedeutendsten Dichter des deutschen Barock und ehemaligen Schultheißen der Stadt Renchen, ans Herz gelegt.

Bekanntlich war der um 1620 in Gelnhausen geborene Grimmelshausen in den Wirren des 30jährigen Krieges über mehrere Stationen ins Badische gelangt. Er hatte 1648 in Offenburg geheiratet und kam nach seiner Schaffner(Verwalter)tätigkeit bei dem Adelsgeschlecht von Schauenburg sowie an der dem Straßburger Modearzt Dr. Küffer gehörenden Ullenburg bei Tiergarten und seiner Tätigkeit als Gastwirt im "Silbernen Sternen" zu Gaisbach im Jahre 1667 als Schultheiß nach Renchen. Hier hat er bis zu seinem Tod, am 17. August 1676, in schwieriger Zeit sein Schultheißenamt verwaltet und zugleich die Zeit seiner dichterischen Ernte erlebt.

Denn die Erstausgaben seines wohl bedeutendsten Werkes "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch", der bis heute als der erste deutsche Roman gilt, erschien im Jahre 1668, also ein Jahr nach seinem Amtsantritt.

Da er seine Schriften nicht mit seinem wahren Namen versah, sondern diese mit sogenannten Anagrammen verschlüsselte, sollte es bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dauern, bis der Literaturwissenschaftler Hermann Kurz die Entdeckung machte, daß kein geringerer als der ehemalige Schultheiß von Renchen, nämlich Johann Jakob Christoph von Grimmelshausen, der Verfasser der Simplicianischen Schriften ist.

Die Renchner Bürgerschaft des vorigen Jahrhunderts hat diese Erkenntnis mit Stolz aufgenommen und reagierte schnell. 1876 veranstaltete sie zum Gedenken an den 200. Todestag für die damalige Zeit groß angelegte Feierlichkeiten. Schon drei Jahre später, im Jahre 1879, wurde auf Initiative des Renchener Bürgersohns Amand Goegg auf dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgelassenen Friedhof neben der katholischen Pfarrkirche das erste Grimmelshausen-Denkmal, ein Sandstein-Obelisk, errichtet. Goegg war einer der führenden Köpfe der Badischen Revolution und Finanzminister der Revolutionsregierung. Amand Goegg war bekannt, daß der Bildhauer Franz Breuninger in Rastatt einen mächtigen Sandsteinobelisken geschaffen hatte, der als Denkmal für die 1848/49 gefallenen Freischärler in der alten Festungsstadt Rastatt einen Standort finden sollte. Doch die Großherzoglich-Badische Regierung in Karlsruhe zeigte wenig Freude an einem Denkmal für die Revolutionäre, die zudem noch gegen ihre eigenen Landesfürsten gekämpft hatten. Die Aufstellung des Denkmales wurde jedenfalls verboten. Amand Goegg lenkte diesen Stein durch Vermittlung nach Achern. Die Grundsteinlegung für das Denkmal erfolgte am 14. Juli 1879, die Enthüllung am 17. August desselben Jahres(1). In dieser Zeit ist der Grundstein für die bis in die heutigen Tage währende Renchener Grimmelshausen-Tradition gelegt worden und seitdem schmücken die Renchener ihren Heimatort mit der Bezeichnung "Grimmelshausenstadt".

In den folgenden Jahrzehnten, die geprägt waren von Armut, Not und dem Elend der beiden Weltkriege, wurde das kulturelle Erbe Grimmelshausens trotz allem nie vergessen und selbst in schwierigen Zeiten immer wieder Feierlichkeiten verschiedenster Form zum Gedenken seiner veranstaltet. So zum Beispiel die Feier zum 300. Geburtstag im Jahr 1924 und die Grimmelshausen-Feste 1941 und 1951.

Mit großem Aufwand bereitete man schon zu Beginn der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts die Feier zum Gedenken an den 300. Todestag Grimmelshausens in Renchen vor. Wissenschaftler aus aller Welt, zeitgenössische Schriftsteller von hohem Rang, wie zum Beispiel Günter Grass und Golo Mann, bis hin zum damaligen Ministerpräsidenten Hans Georg Filbinger kamen gern nach Renchen und erregten Aufmerksamkeit weit über die Grenzen des Städtchens hinaus.

Das große "Grimmelshausen-Fieber" brach aus. Der Förderverein Grimmelshausenfreunde und die Stiftung Grimmelshausen-Archiv wurden gegründet. Junge, engagierte Laienschauspieler schlossen sich 1977 zum Grimmelshausen-Spielkreis zusammen. 1986 führten sie das im Jahr 1951 von Dr. Hermann Streif geschriebene Stück "Der Schultheiß von Renchen" auf.

1977 wurde vor dem Rathaus die von dem Offenburger Verleger und späteren Ehrenbürger der Stadt Renchen Senator Dr. Franz Burda gestiftete und vom italienischen Bildhauer Giacomo Manzü geschaffene Grimmelshausen-Statue aufgestellt. Sie soll den jungen Simplicius als Jäger von Soest verkörpern.

Kurz nach meinem Amtsantritt im Dezember 1985 bin ich zum Vorsitzenden der Stiftung Grimmelshausenarchiv gewählt worden. Dabei mußte ich zu meiner Überraschung feststellen, daß zuvor der komplette, mit Vertretern aus den Städten Offenburg, Oberkirch und Renchen, der Wissenschaft und der Badischen Landesbibliothek zusammengesetzte Vorstand zurückgetreten war. Ausschlaggebend hierfür soll die Tatsache gewesen sein, daß man sich in den Jahren seit Gründung der Stiftung sehr heftig über Satzungsfragen und Formalitäten mit dem Stifter Egon Lorenz gestritten habe. Da ich hierüber nicht aus eigenem Erleben berichten kann, steht es mir nicht zu, ein Urteil darüber abzugeben, auf wessen Seite die Hauptschuld gelegen hat. Tatsache ist und bleibt, daß Lorenz in den letzten fünf Jahrzehnten mit der Emsigkeit einer Biene alles zusammengetragen hat(2) was er von oder über Grimmelshausen ausfindig machen konnte und der Grimmelshausenpflege in Renchen so manchen wichtigen Impuls - u.a. zur Gründung der Grimmelshausenfreunde und der Stiftung Grimmelshausenarchiv — gegeben hat. Meine Aufgabe jedenfalls bestand darin, den Vorstand nun mit lokalen Vertretern zu besetzen, was mir schließlich auch gelungen ist.

Beim Schiller-Nationalmuseum in Marbach am Neckar ist als Förderinstitution des Landes Baden-Württemberg die Arbeitsstelle für literarische Archive, Museen und Gedenkstätten angesiedelt, die u.a. die Aufgabe hat, künftige Museumsträger beim Aufbau und der Planung von Literaturmuseen zu beraten und sie darüber hinaus finanziell zu unterstützen.

Im August 1986 bin ich zusammen mit dem noch von meinem Amtsvorgänger für die Museumsplanung beauftragten Architekten nach Weinsberg gefahren, um dort den Leiter dieser Arbeitsstelle, Herrn Dr. Thomas Scheuffelen, für eine erste Beratung aufzusuchen. Nach Weinsberg deshalb, weil Scheuffelen dort gerade dabei war, das Justinus-Kerner-Museum einzurichten.

Scheuffelen überraschte mich bei der Gelegenheit mit der Nachricht, man plane im Nachbarort Oberkirch ebenfalls ein Grimmelshausen-Museum und bat mich um Verständnis, daß man seitens des Landes keine zwei Museen gleicher Art fördern könne. Über die Arbeit an einer Grimmelshausen-Gedenkstätte in Oberkirch hatte man mich in Renchen zuvor nicht unterrichtet.


Enttäuscht machten wir uns auf den Heimweg. Zu Hause stellte sich dann als wirklich wahr heraus, was Scheuffelen mir berichtet hatte. In Folge kam es zu einer heftigen Öffentlichen Auseinandersetzung zwischen mir und meinem Amtskollegen Willi Stächele aus Oberkirch, über welche schließlich sogar der Südwestfunk. und die Stuttgarter Zeitung berichtet haben. Im Jahr 1989 hätte die Stiftung Grimmelshausenarchiv ihr 10jähriges Bestehen feiern können. Ein Jahr zuvor rief ich deshalb den mir zwischenzeitlich gut bekannten Prof. Dr. Martin Bircher an, der in Wolffenbüttel an der dortigen Herzog-August-Bibliothek die Abteilung zur Erforschung des 17. Jahrhunderts leitete, und fragte ihn, ob er uns für eine kleine Jubiläumsausstellung im Renchener Rathaus einige Originale von Grimmelshausens Handschriften und seinen Werken zur Verfügung stellen könne. Bircher war nicht schr begeistert von dieser Idee. Was ich denn damit wolle, fragte er mich. Diejenigen, die sich professionell mit Grimmelshausen beschäftigen, kämen deshalb nicht nach Renchen, und den Mann von der Straße könne ich mit so etwas auch nicht hinter dem Ofen hervorlocken. Für reizvoller und interessanter hielte cr cs, eine rezeptionsgeschichtlich angelegte Ausstellung zu konzipieren, die sich damit auseinandersetzt, was im 20. Jahrhundert an illustrierten Buchausgaben und darüber hinaus an sonstigen Kunstgegenständen zu Grimmelshausen-Themen erschienen und geschaffen worden sei. Natürlich willigte ich ein und Bircher machte sich zusammen mit seinem damaligen Assistenten Christian Juranek an die Arbeit. Beim Suchen nach ausstellungswürdigen Gegenständen wurden sie überaus fündig und die Stadt Renchen bzw. die Stiftung Grimmelshausenarchiv erwarben, was sie nur erwerben konnten. Geld war in jener Zeit kein großes Problem. Diesem glücklichen Umstand ist es zu verdanken, daß die Stadt Renchen und die Stiftung Grimmelshausenarchiv zusammen heute zumindest in Deutschland die bedeutendste Sammlung zeitgenössischer Buchausgaben und Kunstwerke zu Grimmelshausen-Themen ihr Eigen nennen dürfen.

Die Ausstellung, die zunächst in Zürich, Renchen und Wolffenbüttel gezeigt wurde, hatte einen Riesenerfolg. Sie wurde deshalb später noch in Münster und Gelnhausen gezeigt. Anfragen aus den USA, Greifswald und Altenburg sind abschlägig beschieden worden, um dem wertvollen Ausstellungsgut weitere Strapazen zu ersparen.

An dieser Stelle ist es mir ein persönliches Bedürfnis, das seit Jahren andauernde Engagement von Herrn Prof. Dr. Bircher zu wüdigen. Ich habe Herrn Bircher im Jahr 1986 bei der Jahrestagung der Grimmelshausen-Gesellschaft in Marburg kennengelernt. Seitdem verbinden uns freundschaftliche Bande. Er hat die Stadt Renchen und mich in den zurückliegenden Jahren in einzigartiger Weise — und dies stets unentgeltlich — unterstützt.

Alle entscheidenden Schritte, die ich getan habe, um dem Ziel der Errichtung einer Grimmelshausen-Gedenkstätte näher zu kommen, hätte ich ohne die Gewißheit, mir seiner Rückendeckung und Unterstützung sicher sein zu dürfen, wohl nicht gewagt. Ich schulde ihm größten Dank. Sein Name wird untrennbar mit dem Renchener Simplicissimus-Haus verbunden bleiben.

Großer Dank gilt auch seinem ehemaligen Assistenten und zwischenzeitlich zum Geschäftsführer des Schloßmuseums Wernigerode avancierten Christian Juranek, ein überaus begabter und engagierter Germanist, der in gleicher Weise wie Professor Bircher ans Werk gegangen ist und die Feinkonzeption für die museale Präsentation erarbeitet hat.

Mit der Idee, die Ausstellungskonzeption auch zur Grundlage einer in Renchen aufzubauenden Erinnerungs- und Gedenkstätte für Grimmelshausen zu machen, bin ich dann erneut bei Herrn Dr. Scheuffelen in Marbach vorstellig geworden. Natürlich hatte man dort von dem großen Erfolg der Ausstellung erfahren und man gab schließlich die Zusage, das Projekt jetzt zu unterstützen. Kurze Zeit darauf beschloß der Gemeinderat der Stadt Renchen, einen Architektenwettbewerb durchzuführen.

Im März 1992 entschied das Preisgericht, den ersten Preis der Architektengemeinschaft Adler & Retzbach aus Karlsruhe zuzusprechen.

Im Rahmen einer Klausurtagung im September 1992 hat der Gemeinderat den preisgekrönten Entwurf zu einem baureifen Konzept weiterentwickelt, das wir schließlich bis zur Baugenehmigung brachten.

Doch was nützt der schönste genehmigte Plan, wenn dem Bauherrn das Geld ausgeht. Nach der Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands 1989 hatte es zwar noch einmal einen "vereinigungsbedingten" Konjunkturschub gegeben. Um so tiefer war dann aber der finanzielle Absturz der öffentlichen Haushalte infolge der Weltwirtschaftsflaute und den Lasten der Deutschen Wiedervereinigung. Der Plan wanderte in die Schublade. Juli 1995: Die Grimmelshausengesellschaft Münster hält ihre Tagung in Karlsruhe ab. Zum obligaten Tagungsprogramm im Badischen gehört natürlich eine Exkursion zu den Wirkungsstätten Grimmelshausens in die Ortenau. Bei einem Empfang im Bürgersaal des Renchener Rathauses tritt ein Mann aus der Menge und nimmt mich zur Seite. Weshalb wir mit dem Bau des geplanten Museums nicht vorankämen, fragt er mich. Die Stadt hat kein Geld mehr, gebe ich ihm zur Antwort. Ob ich schon mal an eine Sponsorenlösung gedacht habe. Er könne sich vorstellen, daß zwei bzw. drei Leute einen ansehnlichen Betrag zusammenbrächten, damit man wenigstens einmal anfangen könne. Einer davon sei er, die anderen müsse ich selbst suchen. Damit will ich nunmehr das Geheimnis lüften, wer dieser Mann ist, der den Stein für die eigentliche Realisierung des Simplicissimus-Hauses ins Rollen gebracht hat. Er heißt Karl-Heinz Maurer, ist gebürtiger Saarländer, wohnt in Karlsruhe. Während seiner aktiven Berufszeit war er Inhaber eines zahntechnischen Labors und Obermeister seines Handwerks. Seine Beziehung zu Renchen ergibt sich aus seiner Ehe mit seiner aus Renchen stammenden Frau Gudrun, geb. Hefter, eine Tochter von Frau Marlene Hefter, die in Renchen Mitinhaberin des gleichnamigen Cafes Hefter war und im übrigen von 1975 bis 1989 dem Gemeinderat angehörte.

Herr und Frau Maurer sind nicht nur Freunde der schönen Künste, sondern auch wahre Mäzene. Als weiteren Mäzen konnte ich Herrn Dieter Dieckmann aus Achern gewinnen. Herr Dieckmann war Begründer und Inhaber der in Renchen ansässigen Fa. Normbau, die er anläßlich seiner Pensionierung an den englischen Konzern Newman Tonks veräußert hat. Er hat, um es mit seinen Worten zu sagen, aus Dankbarkeit gegenüber den Renchnern, die bei ihm gearbeitet und so mitgeholfen haben, seine Firma aufzubauen, bereits im Jahr 1992 das an der Ecke Hauptstraße/Poststraße stehende und von Ernemann Sander geschaffene Fabeltier mit dem alten Simplicius gespendet und erweist sich nunmehr ein weiteres Mal als großer Gönner unserer Stadt.

Sowohl ihm, wie auch der Familie Maurer, weiß ich mich aus mehreren Gründen zu großer Dankbarkeit verpflichtet. Zum einen, weil sie in finanziell schwieriger Zeit die Realisierung dieses für die kulturelle Identität unserer Stadt so wichtigen Projektes ermöglicht haben, zum anderen aber auch für das Vertrauen, das sie mir persönlich entgegenbringen. Sie halfen mir so, in meiner zweiten Amtszeit das Projekt zu realisieren, das mir bislang am meisten am Herzen gelegen hat.

Nicht unerwähnt möchte ich das Arbeitsamt Offenburg lassen, das uns eine sogenannte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme genehmigt hat, bei der arbeitslose Jugendliche einer sinnvollen Beschäftigung zugeführt werden. Der Förderverein Grimmelshausenfreunde kommt dadurch in den Genuß besonders preiswerter Arbeitskräfte.

Danken möchte ich auch dem Gemeinderat der Stadt Renchen, der sich seiner politischen Verantwortung um die Bewahrung des kulturellen Erbes von Grimmelshausen stets bewußt war, meinem vorgeschlagenen Weg immer gefolgt ist und einen Zuschuß zu den Baukosten gewährt hat.

Die Pläne der Architekten Adler & Retzbach sehen neben dem Ausbau des von der Stadt Renchen bereits 1984 erworbenen Ackerbürgerhauses auch einen Anbau mit Veranstaltungsräumlichkeiten vor.

Dieser Anbau soll - aus finanziellen Gründen - in einem weiteren Bauabschnitt realisiert werden. Solange dieser weitere Gebäudeteil nicht realisiert ist, ist das Simplicissimus-Haus nicht endgültig fertig.

Möge das künftige Simplicissimus-Haus viele vor uns liegende Zeiten überdauern und eine große Zahl von Menschen mit dem literarischen und künstlerischen Erbe des bedeutendsten deutschen Dichters der Barockzeit vertraut machen.

Kein verstaubtes Heimatmuseum soll es werden, auch keine Studienbibliothek, die es doch nie mit den Beständen einer Landes- oder Universitätsbibliothek würde aufnehmen können.

Nein: Weit offenstehen soll es für moderne Kunst, Literatur und Musik - im Dialog mit Grimmelshausen, mit europäischen Dichtern und Erzählern der Barockzeit. Daß vor unserem Rathaus Giacomo Manzüs Jäger von Soest gleichsam Schildwache hält, ist ein gutes Omen: Kein Narr, kein Tölpel, kein Einsiedler, kein kriegsgeschädigtes Kind von Traurigkeit. Manzüs Simplicissimus ist vielmehr ein selbstbewußter junger Mann mit gutem Herzen, dessen Erfinder oder Spiegelbild, Grimmelshausen, es später zum Dichter und zum Bürgermeister von Renchen gebracht hat. Manzüs Jäger von Soest lüftet freundlich den Hut und gibt zu bedenken: Wer die Vita activa von Grimmelshausens Rathaus erlebt hat, muß auch die Vita contemplativa anstreben. Zum aktiven Rathaus gehört das beschauliche Haus als Stätte der Einkehr und Begegnung. Dies ist die barocke, zugleich aber auch die moderne Botschaft des prophetischen Fabeltiers, des Jägers von Soest, des Schultheißen von Renchen.

Anmerkungen:
1.) vgl. Acher-Rench-Zeitung vom 17. August 1984 und vom 17. August 1985
2.) "Sammler Lorenz". Acher-Rench-Zeitung vom 3. Juni 1989

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Grimmelshausenpark mit Wasserturm Renchen


Der erhöht liegende, mit Freilichtbühne und gepflegter Gartenlandschaft gestaltete Stadtgarten und der angrenzende Wasserturm zeigen das großzügige Panorama der darunterliegenden RheinebeneDer erhöht liegende, mit Freilichtbühne und gepflegter Gartenlandschaft gestaltete Stadtgarten und der angrenzende Wasserturm zeigen das großzügige Panorama der darunterliegenden Rheinebene, erlauben einen Blick auf die Vogesen und an besonders klaren Tagen sogar auf das Straßburger Münster.

1228 wurde dort das Schloss als Sommerresidenz der Fürstbischöfe von Straßburg errichtet. Das fürstbischöfliche Renchener Schloss wurde in der Neujahrsnacht am 1. Januar 1641, durch den französischen Obristen von Rosen niedergebrannt. Ein Augenzeuge berichtete, dass er am Neujahrstag sogar von der nahen Ullenburg den Feuerschein und die Rauchwolken des brennenden Schlosses erblicken konnte


Ein kleiner Abriss über den Rencherner "Schlossberg" kann aus der


Zeittafel zur Geschichte der Stadt Renchen

von Heinz Schäfer


entnommen werden, welche auf der Webseite der Stadt Renchen zu finden ist.


1228 Erbauung des "Reinichheimer Schlosses" als Sommerresidenz der Fürstbischöfe von Straßburg.
1320 Das "Windecker Schloß in Renchen" wird urkundlich als festangelegter Edelhof erwähnt. Es befand sich parallel zur heutigen Hauptstraße, westlich der heutigen Schlossgartenstraße
1418 Der Straßburger Fürstbischof Wilhelm von Diest wohnt einige Zeit auf dem Schloss in Renchen
1473 Kaiser Friedrich III. macht auf seiner Durchreise nach Baden-Baden, zu seinem Schwager dem Markgrafen Karl von Baden, Station im Renchener Schloss.
1525 Auf dem Renchener Schloss wird vom 22. bis 25. Mai 1525 (Christi Himmelfahrtsfest) der "Renchener Vertrag" zwischen den Vertretern der Bauernschaft und der ortenauischen Ritterschaft geschlossen. Die 12 Artikel des Vertrages hatten zum Inhalt, das Verhältnis der Herrschaften zu ihren Untertanen und die aus dem Evangelium abgeleiteten Hauptforderungen der unterdrückten Bauernschaft zu regeln.
1640 / 41 Das fürstbischöfliche Renchener Schloss wird in der Neujahrsnacht am 1. Januar 1641, durch den französischen Obristen von Rosen niedergebrannt. Ein Augenzeuge berichtete, dass er am Neujahrstag sogar von der nahen Ullenburg den Feuerschein und die Rauchwolken des brennenden Schlosses erblicken konnte. Von den Flammen verschont geblieben waren beim Schloss nur zwei Scheuern und eine Hofstatt.
1689 Renchen wird von französischen Truppen des Mélac nahezu total zerstört. Nur die Pfarrkirche, die Stadt- und Herrenmühle und ein Teil der Bauerngasse (heute Poststraße) bleiben erhalten. Der vom letzten Brand verbliebene Rest des ehemaligen Schlosses sowie das "Windecker bzw. das spätere Fleckensteiner Schloß" versinken vollends in Schutt und Asche.
1798 Fürstbischof Louis René von Rohan bzw. die "Rohan’sche Rentkammer" zu Ettenheim, verkauft am 31. Juli 1798 den Renchener Schlossberg an die Familie "Brandstetter zum Adler". (Franz Anton Brandstetter und Sohn Heribert Brandstetter "Hanfkönig zum Adler")
1899 Die Stadt erwirbt den Schlossberg von den Erben der Familie Brandstetter für 3.600 Reichsmark und widmet ihn um zum "Stadtgarten", später "Grimmelshausenpark".
1937 Am Mittwoch, dem 24. Februar 1937 schreibt die Badische Presse: "Drohender Bergrutsch bei Renchen – 20.000 Tonnen Erde vor dem Absturz – Einsatzbereitschaft des Reichsarbeitsdienstes beseitigt die erste Gefahr". Durch den anhaltenden Regen in den Tagen zuvor lösten sich an der Westseite des Schlossberges, am Steilhang zur Weidenstraße größere Erdmassen, sodass die bedrohten Häuser Nr. 15 und 17 geräumt werden mussten. Der im Grimmelshausenpark stehende Pavillon am Bergrand musste dabei entfernt werden. Lt. Augenzeugenbericht wurden dabei Fundamentreste des ehemaligen Bergfriedes vom Renchener Schloss freigelegt sowie Teile einer alten römischen Getreidemühle gefunden.
1985 Am 14. September 1985 wird auf dem Schlossbergareal der neu errichtete Mariengarten eingeweiht. Aufgrund der Mitwirkung vieler Helfer und aus Spenden war es möglich, diese Stätte zu errichten. Das Gelände wurden von der Familie Baader der katholischen Pfarrgemeinde übereignet aus Anlass des 60. Geburtstages von Stadtpfarrer Lothar Butscher.


Das Schloß in Renchen - Otto Kähni - die Ortenau 1934 S. 243 - 246

Diese Burg stand hinter der Stadt auf der Anhöhe auf dem Platz des heutigen Stadtgartens. Außer dem Namen "Schloßberg" beweist dies die eigentümliche, eckige Form der vorspringenden Anhöhe, an deren Hängen von Erdarbeitern umfangreiches Mauerwerk und glasierte Ziegel vorgefunden worden sein sollen. Wann und von wem diese Burg gebaut worden ist, ist nicht bekannt. Renchen wird 1115 zum ersten Male urkundlich erwähnt und zwar als Sitz einer Adelsfamilie. Es ist aber nicht wahrscheinlich, daß diese Edelknechte von Reynicheim die Burg gebaut haben. Sie werden wohl nur ein kleines Wasserschloß bewohnt haben. Als Renchen in den Besitz des Bistums Straßburg gelangte, traten die Herren von Reynicheim in die Ministerialität über und erscheinen 1239 als Dienst- und Lehensmannen des Bistums, wohnen als bischöfliche Vögte auf der Burg und sind im Besitz der bischöflichen Burglehen. Diese Tatsachen rechtfertigen die Annahme, daß das Schloß von den Bischöfen selbst erbaut wurde, wahrscheinlich zu Beginn des 13. Jahrhunderts Die Nachfolger der Ritter von Renchen als bischöfliche Vögte waren die Wolf von Renchen Judenbreter von Renchen, die Herren von Windeck, die im Lauf des Mittelalters die begütertste Familie am Platze geworden war, und deren Erben, die Herren von Flechenstein. Als bischöflich straßburgischer Besitz wurde die Burg wie die Stadt oft verpfändet, so z. B. an den Markgrafen von Baden, besonders zur Zeit des Bischofs Wilhelm von Diest (1394 - 1439), der wegen seines verschwenderischen Lebens und Verschleuderung von Bistumsbesitz mit seinem Domkapitel und der Stadt Straßburg zerfallen war und von seinen Gegnern zweimal auf der Burg Renchen gefangen gehalten wurde. In den Bauernkriegen war die Burg Gegenstand von Beschwerden. Die Bauern von Urloffen und Zimmern klagten, daß sie die Burg Renchen aus ihren Wäldern mit Bau- und Brennholz versehen müßten; und am Tage Christi Himmelfahrt 1525 wurde in ihren Mauern der Renchener Vertrag geschlossen.

Über die Anlage der Burg, die oft auch "Castrum" genannt wird, gibt uns der Stadtplan des Renchener Ratsherrn Buchard aus den Jahren 1608 bis 1618 ein wenig Aufschluß. Wenn dieser Plan auch viele Unrichtigkeiten aufweist, so sind nach Behrles Ausführungen die Umrisse der Burg doch richtig gezeichnet, soweit dies die heutigen Bodenverhältnisse erkennen lassen. Ein Blick auf diesen Plan zeigt uns, daß wir es hier mit einer ziemlich großen Hofburg zu tun haben, wie sie eben Landesherren bauen konnten. Die ganze Anlage war umgeben von einer bis an den Rand des Abhangs vorgerückten Ringmauer. An dieses schloß sich ein breiter Zwinger an, und hinter diesem lag eine zweite Ringmauer, die auf der westlichen und südlichen Seite mit fünf Türmen befestigt war; denn die aus dem Plan mit Diagonalen versehenen Quadrate dürfen wir wohl als turmartige Gebäude ansehen. Vom hügeligen Gelände aus gelangte man auf der nordöstlichen Seite zum Burgtor, das in die Vorburg führte und von einem Turm gedeckt wurde. In dem langen Bau, der sich auf dem Plan durch die Mitte der Anlage erstreckt, dürfen wir wohl den Palas sehen. Die mit Diagonalen versehenen Quadrate auf den Seiten dieses Baues zeigen uns wohl wiederum, daß er von zwei Türmen flankiert war. Die Hauptburg war in zwei Höfe getrennt durch einen turmartigen Bau, der die Mitte des Hauptgebäudes mit der südlichen Seite der inneren Ringmauer verband und vielleicht die Bedeutung eines Bergfrieds hatte. Denn er stand auf der sichersten Stelle des Platzes, zumal da der Auerrain ziemlich steil abfiel. Der aus dem Plan mit "Schloßgarten" bezeichnete Geländeabschnitt links vom Burgeingang läßt sich auch heute noch deutlich erkennen.

Obwohl die Burg stark befestigt war, hielt sie den Stürmen des Dreißigjährigen Krieges doch nicht stand. 1641 wurde sie von den Schweden niedergebrannt. Was diese übrig gelassen hatten, zerstörten die Franzosen 1689. Um 1800 sollen noch zwei Säulen vorhanden gewesen sein. Den öden Platz verkaufte die Rohansche Rentkammer zu Ettenheim im Jahre 1798 an den Renchener Handelsmann Brandstetter. Im Februar 1899 veräußerte ihn diese Familie an die Stadtgemeinde, die darauf einen Stadtgarten anlegte. Die einzigen Zeugen der stolzen Burg sind der Name "Schloßberg" und Reste der ehemaligen Ringmauer.

Nun ist im Staatslexikon von Kolb (1816) und im Universallexikon von Baden die Rede von einem Windeckschen Schlosse, das im Bischofskrieg zwischen Kardinal Karl von Lothringen und dem Markgrafen Joh. Georg von Brandenburg (1600) verheert worden und bis 1689 in bewohnbarem Zustande geblieben sei. Beide Verfasser meinen mit diesem Schlosse die Burg auf der Anhöhe. Und in dem erwähnten Stadtplan ist auch kein zweites Schloß erwähnt. Behrle hat aber nachgewiesen, daß dieses Windecksche Schloß, das 1618 durch Erbschaft an die Herren von Fleckenstein gelangte, nicht identisch ist mit der bischöflichen Burg. Sondern es war ein festangelegter Edelhof, der schon 1320 erwähnt wird ("curia sita in opido Renicheim dicta der hof von Windecke") und mitten im Ortsetter lag und durch Verstärkungsbauten ein burgartiges Aussehen erhalten hatte.

grundriss ehem schloss renchen
Plan der Stadt und des Schlosses Renchen im Anfang des 17. Jahrhunderts

Diese Behauptung wird noch gerechtfertigt durch folgende Tatsache: Ältere Einwohner nannten einen ziemlich großen, westlich der Hauptstraße im Ort gelegenen Gras- und Obstgarten, auf den das westliche Ende des Kronengäßchens stößt, "Schloßgarten". Von dem bischöflichen Schloß auf der Anhöhe kann diese Bezeichnung nicht kommen, da das Grundstück zu weit abliegt. Dieser sogenannte Schloßgarten hat in seinen Umrissen die Gestalt eines Dreieckschildes und ist auf allen drei Seiten von Ortsstraßen, auf einer Seite auch von einem Wassergraben begrenzt. Außerdem ergibt sich aus einer Güterbeschreibung, daß der Windeck-Fleckensteinsche Herrenhof oder das Windecksche Schloß in dem heutigen sog. Schloßgarten oder in dessen unmittelbaren Umgebung zu suchen ist.

Hilfsmittel:

Behrle, Beiträge zur Geschichte der Stadt Renchen "Die Ortenau", 5 ff. und Manuskript: Bechtold, Grimmelshausen 1919.
Einige Hinweise verdanke ich Herrn Lehrer Ell, Wagshurst

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Katholische Kirche St. Mauritius Ulm


Die Pfarrei Ulm gehört unzweifelhaft zu den Urpfarreien der Ortenau. Sie darf folglich als "eine königliche" angesehen werden und muß wohl schon in fränkischer Zeit entstanden seinKirchengeschichte Ulm - Die kirchlich-religiösen und schulischen Verhältnisse im Mittelalter und in der frühen Neuzeit

Aus: 175 Jahre Katholische Pfarrkirche "St. Mauritius" von Karl Walz - Oberkirch 1995

Die Pfarrei Ulm gehört unzweifelhaft zu den Urpfarreien der Ortenau. Sie darf folglich als "eine königliche"(1) angesehen werden und muß wohl schon in fränkischer Zeit entstanden sein. Für das hohe Alter der Pfarrei und der Kirche von Ulm spricht einmal, daß die Ulmer Kirche die Mutterkirche für Renchen, Erlach, Haslach, Stadelhofen, Tiergarten und Mösbach war(2). Die genannten Filialen lösten sich im Lauf der Jahrhunderte vom Ulmer Kirchspiel und wurden selbständige Pfarreien. Die erste Filialkirche, die sich von Ulm trennte, war bekanntlich die Kirche von Renchen.

Zum anderen ist das Mauritius-Patrozinium ein Indiz für das hohe Alter der Pfarrei. Mauritius war nämlich in fränkischer Zeit ein besonders verehrter Heiliger und wurde in dieser Zeit oft als Patron angerufen. Die Pfarrei als königliche Gründung könnte den Ausgangspunkt gebildet haben, von dem aus das Frauenkloster in Säckingen in den Besitz des Patronatsrechts in Ulm kam. Das Patronatsrecht, das der Äbtissin von Säckingen unter anderem das Recht auf Bestellung des Ulmer Pfarrherrn einräumte, wird in einer Urkunde vom 21. September 1332 belegt(3). In diesem Dokument "inkorporiert" (angliedern) Bischof Berthold II. von Straßburg als Diözesanbischof die Pfarrkirche von Ulm und die Kapelle in Renchen (... "ecelesiam parrochialem Ulme cum cappella in Renicheim" ...) dem Frauenkloster in Säckingen am Hochrhein, unter anderem mit dem Zusatz, daß das Patronatsrecht der Ulmer Kirche dem Frauenkloster von Säckingen zustehe. Mit dieser Inkorporation war schließlich auch der Cantor der Domkirche Straßburg einverstanden, denn am 20. Juni 1335 urkundet Bischof Berthold II. von Straßburg, daß der Cantor Ludwig als Rektor auf alle Rechte und Ansprüche verzichtet habe, die ihm auf die Pfarrkirche zu Ulm und die mit ihr verbundene Filialkirche Renchen (... "ecclesia porochialis in Ulm, cui annexa est capella in Renchen" ...) zustünden. Verzicht geleistet habe er zugunsten der Abtissin Agnes vom Kloster Säckingen, dem die erwähnte Pfarrei Ulm inkorporiert sei(4).

Wann das Frauenkloster Säckingen in den Besitz des Patronatsrechts der Pfarrei Ulm gekommen war, läßt sich nicht nachweisen. In einer Urkunde vom 3. Juni 1274 ist erstmals Säckinger Einfluß auf die Kirche in Ulm erkennbar, denn die Äbtissin von Säckingen nahm Rechte bei der Besetzung der Pfarrei Ulm wahr, die ihr jedoch vom Straßburger Domkapitel zu diesem Zeitpunkt noch streitig gemacht wurden(5). Der Säckinger Einfluß auf Ulm dürfte mehr als 100 Jahre früher seinen Anfang genommen haben.

Zur Gründungsgeschichte der Pfarreien zwischen Oos und Rench - Karl Reinfried - FDA 38 / 1910  arrowRight

Im Jahre 1486 verkaufte die Äbtissin des Säckinger Frauenklosters das Ulmer Patronatsrecht sowie das Zehntrecht an Straßburg, bei dem es auch in der Folgezeit verblieb, wofür folgender, lateinisch geschriebener Quellenhinweis von 1666 den Beleg liefert: "Der Kirchenpatron von Ulm ist der hl. Mauritius. Die Verleiher sind die Herrn Deputierten des Hohen Chores in Straßburg"(6).

Renchen wird selbständige Gemeinde

Ein wichtiges Jahr in der Kirchengeschichte Ulms ist das Jahr 1453. Am 3. Mai 1453 wurde nämlich die endgültige Trennung der beiden Pfarreien Ulm und Renchen vollzogen. Bis dahin wurden beide Pfarreien von einem Leutpriester (= Weltpriester im Gegensatz zu einem Ordensmann) betreut. Vom 3. Mai 1453 an bekam jede der beiden Pfarreien nach dem Willen des Straßburger Diözesanbischofs Ruprecht und der Abtissin von Säckingen einen eigenen Leutpriester zugeteilt(7). Der erste für Ulm allein zuständige Leutpriester dürfte der für das Jahr 1459 belegte Matern Suler gewesen sein(8).

Ulmer "Heidenturm"

Von der alten Ulmer Pfarrkirche, die vermutlich im 12. Jahrhundert erbaut wurde, stammen wohl die Grundmauern des 1778 abgerissenen "Heidenturms", dessen Fundamente in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts freigelegt worden waren. Der "Heidenturm" stand dort, wo jetzt die Steintreppen zum Haupteingang der Kirche angebracht sind. Im Jahre 1416 bekam die Ulmer Pfarrkirche einen zweiten Turm, von dem heute noch der untere 26,20 m hohe Turmteil aus Granit (Grundriß 7 m x 7 m) steht. Dieser Turm war ursprünglich vom Kirchengebäude getrennt und wurde erst in den Jahren 1778 / 79 bei einer Kirchenerweiterung mit der Apsis der Kirche verbunden(9).

Zeugen der Vergangenheit

Eindrucksvolle Zeugen aus der vom Christentum geprägten Vergangenheit Ulms sind überdies die teilweise gut erhaltenen Sakraldenkmale auf den Fluren und Wegen Ulms. Sie sind "in Stein gegossener Ausdruck des religiösen Empfindens und Denkens"(10) der Vorfahren und verdienen die Aufmerksamkeit auch des heutigen Betrachters. Von den aus der Zeit vor 1803 stammenden Sakraldenkmälern Ulms seien folgende erwähnt: das Sühnekreuz vom Jahre 1477, die drei aus dem 18. Jahrhundert stammenden Bildstöcke, das Debanokreuz auf dem Ulmer Friedhof, ferner das Epitaph des Frantz Josef Maria Galleto an der Pfarrgartenmauer(11).

Außen- und Innenrenovationen; Restaurationen 1832 - heute arrowRight

Epithaph des Franz Josef Maria Galleto an der Ulmer Pfarrmauer beim Missionskreuz neben dem Kirchturm. Die Wirren der Französischen Revolution hatten Pfarrer Galleto, wie viele elsässische Geistliche, zum Flüchtling werden lassen. Er suchte im Ulmer Pfarrhaus Unterschlupf.

Es müssen in jenen Tagen noch mindestens zwei weitere Geistliche als Flüchtlinge aus dem Elsaß zusammen mit Pfarrer Galleto gelebt haben. Vielleicht bot sich das Ulmer Pfarrhaus gerade deshalb als Refugium für flüchtige elsässische Geistliche an, weil der damalige Ulmer Pfarrer Collignon (Pfarrer daselbst von 1782 - 1808) selbst gebürtig aus Markirch im Elsaß war.

Der Text lautet: "Dort am Fuse des Greutzes ruhet der im Glaube standhaft gebliebene aus dem Elsas vertriebene ehrwürdige Pfarrherr Frantz loseph Maria Galleto starb den 31. Jener 1794 ist 67 Jahr alt. R.I.P.".

Keine Spuren hinterließ das vorübergehend in Ulm etablierte Kapuzinerkloster, da in den Kirchenrechnungen des Jahres 1707 erstmals belegt ist(12). Welche Aktivitäten der Kapuzinerorden, der jüngste der drei selbständigen Zweige des vom hl. Franziskus gegründeten Ordens, in Ulm entwickelte, entzieht sich unserer Kenntnis. Angesichts des Tatbestandes, daß sich das in Oberkirch 1697 gegründete Kapuzinerkloster im 18. Jahrhundert kräftig entfaltete, nimmt es nicht wunder, daß im benachbarten Ulm die Niederlassung der Kapuziner bereits im Jahre 1752 nicht mehr bestand(13).

Verzeichnis der Quellen und Literatur:

1.) Kirchenrechnungsbeilagen 1821, Nr. 97 und DAF, Kirchenbaulichkeit Az: 29190
2.) Rechnungsbeilagen 1821 Nr. 97
3.) dto. Nr. 103
4.) Pfarrarchiv Ulm (PAU), IX Kirchenbaulichkeit A 77
5.) Kirchenrechnung 1853, Seite 158b
6.) dto. Seite 158c
7.) Pfarrarchiv Ulm (PAU), IX Kirchenbaulichkeit, A 77
8.) Kirchenrechnung 1907 Nr. 76
9.) Denkschrift zur Kath. Pfarrkirche, Frauenfeld, Kanton Thurgau, Verfasser A. Lötscher, Pfarrer, 1908
10.) Geschichtliche Topographie der Stadt Konstanz von J. Marmor 1860
11.) Pfarrarchiv Ulm (PAU), Kirchenbaulichkeit Altäre
12.) Kirchenrechnung 1779/80, Seite 66
13.) Pfarrarchiv Ulm (PAU), A 84

Joseph Sauer - Die kirchliche Kunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Baden - Freiburg 1933 S. 506 - 508

Ulm bei Oberkirch [Renchen - Anmerkung] hatte eine noch beinahe neue und baulich durchaus solide Kirche, sie war aber bei der Zugehörigkeit der Filialen Erlach, Mösbach, Thiergarten und Stadelhofen viel zu klein. Der fürstbischöfliche Commissarius Dr. Burg betrieb, ebenso wie der Bistumsverweser Wessenberg, den Plan, selbständige Kuratien in diesen Filialorten zu errichten, ein Gedanke, der durchaus berechtigt und weitblickend war, aber auf die Opposition des Pfarrers und der Katholischen Kirchensektion stieß; da der Heiligenfond mit einem Vermögen von allerdings 50.000 fl. die Baupfiicht hatte, stand auch die Gemeinde auf Seiten Dr. Burgs. Am 8. November 1815 berichtete letzterer an die Fürstbischöfl. Regierung, daß der Pfarrer und das Bezirksamt bereits einen vom Kinzigkreisdirektorium genehmigten Vertrag für einen Neubau mit dem lutherischen Landbaumeister Krämer, gegen den Willen der Gemeinde und ohne dringende Notwendigkeit abgeschlossen hätten.

Das Ganze sei lediglich eine Spekulation Krämers, die von Pfarrer und Bezirksamt unterstützt würde; und daher möge die Kirchenbehörde Einstellung des Verfahrens anordnen. Die Kath. Kirchensektion war dagegen anderer Ansicht; sie bezeichnete den Plan der Errichtung selbständiger Kuratien "als sehr ideal, aber undurchführbar" und ordnete an, daß "der schon vorliegende Plan Prof. Öhls in Rastatt anzunehmen, seine Ausführung aber um einige Jahre zu verschieben sei, bis die Pfarrgemeinde sich etwas erholt habe" (15. Oktober 1817 Nr. 11 603). In dem folgenden Frühjahr erstatteten Dr. Burg wie der Offizial der bischöflichen Kurie in Konstanz, v. Vicari, eingehende Denkschriften über die Verhältnisse der Pfarrei Ulm zu den Filialorten. Burg insbesondere äußerte sich am 20. Mai 1818, daß "es ganz unverständlich bleibe, daß Ulm aus seinem Fond jährlich 500 fl. an das ihm ganz fremde Kehl geben müsse, während die seelsorgerlichen Bedürfnisse der eigenen Filialen nicht befriedigt seien. Der Mutterkirche sollte in jedem Falle die sehr kostspielige Erweiterung ihrer ganz neuen Kirche erspart bleiben, dadurch, daß man nach und nach die einzelnen Filialen auspfarre".

Nachdem die Bauarbeiten im Frühjahr 1820 nach dem Riß und überschlag Prof. Öhls schon begonnen und die Grundsteinlegung auf den 1. Mai angesetzt war, wandte sich Wessenberg am 4. März nochmals an die Kath. Kirchensektion mit dem Ersuchen, doch den Weiterbau zu sistieren [vorläufig unterbrechen - Anmerkung] und möglichst den andern vorteilhafteren Plan zu erwägen, ja noch am 4. Mai mit der eindringlichen Vorstellung, dasz die Feier der Grundsteinlegung suspendiert werde.
Das alles half nichts mehr; die Kath. Kirchensektion antwortete kurz und bündig am 15. Mai zurück, "daß es bei dem beschlossenen Kirchenbau sein Verbleiben habe und daß dessen Kosten den Kirchenfonds keineswegs erschöpfe, sondern der von den Gegnern aus 30.000 fl. berechnete Bau bereits um 13.970 fl. versteigert worden sei". Burg selber faßte Wessenberg gegenüber (21. April 1820) seine Gedanken über die ganze Aktion in die Worte zusammen: "Merkwürdig bleibt es, daß ein einziger Mann, Brandstätter in Ulm, Ortsvorgesetzter, Kirchenpfleger und Kaufmann, durch persönliche Interessen geleitet, es dahin zu bringen wußte, daß die überzeugendsten Vorstellungen der Filialisten unberücksichtigt blieben und ein Resultat herbeigeführt wurde, wodurch der Kirchenfond erschöpft und auf Generationen hin an eine Auspfarrung nicht mehr gedacht werden kann. Der bischöflichen Behörde blieb nichts anderes übrig, als der Gewalt nachzugehen und in den Akten der Nachwelt den Beweis zurückzulassen, daß man den kanonischen Grundsatz: 'in jedem Filial, wo es möglich ist, eine eigene Seelsorge zu errichten', hier mit aller Bemühung geltend zu machen suchte".

Daß Burg das Richtige sah und wollte, zeigten die folgenden Jahrzehnte. Von 1838 an setzten die immer dringlicheren Anstrengungen der Filialen um Lostrennung von Ulm ein. Außerdem war nach einem Bericht des Dekans Vogel vom Jahre 1838 die oben erbaute Kirche schon wieder zu klein. Ulm blieb daher von 1838 - 1852 ohne definitive Besetzung und die großen Einkünfte wurden zur Ansammlung einer genügenden Dotation der Filialen angelegt. Erst nach 1860 wurden selbständige Kuratien errichtet, 1861 in Erlach, 1863 in Mösach, 1866 in Stadelhofen, 1871 in Thiergarten(322)

Der Neubau ging nach einer Mitteilung Öhls im April 1821 bereits seiner Vollendung nahe. Für ihn suchte das Pfarramt am 17. April 1853 um Genehmigung bei der Kirchenbehörde nach, den alten Hochaltar und die zwei Nebenaltäre abbrechen und statt ihrer drei neue, gotische, von Glänz hergestellt und mit 5 Figuren Knittels ausgestattet, aufstellen zu dürfen.

322.) Vgl. über diese geschichtlichen Vorgänge auch Reinfried in FDA. N. F. XI (1910) 125 ff.

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Johann Jakob Christof von Grimmelshausen


Johann Jakob Christof von Grimmelshausen - um 1622 in Gelnhausen; † 17. August 1676 in RenchenGrimmelshausen Johann Jakob Christof v. G. Dies ist, wie Hermann Kurz (Spiegel 1837, 19) festgestellt hat, der eigentliche Name des unter verschiedenen Verstecken austretenden Schriftstellers. Seine angenommenen Namen sind: Samuel Greifenson von Hirschfeld, German Schleifheim von Sulsfort, Philarchus Grossus von Trommenheim, Signeur Meßmahl, Michael Regulin von Sehmsdorff, Erich Stainfels von Grufensholm, Simon Lengfrisch von Hartenfels, Israel Fromschmidt von Hugenfelß, Melchior Sternfels von Fuchshaim. Wenn sich diese Namen anagrammatisch nahezu mit Christof von Grimmelshausen decken, so erscheinen auch andere Pseudonyma, wie Sylvander, Urban von Wurmsknick auf Sturmdorf u. Ueber sein äußeres Leben ist wenig bekannt. Er ist nicht in Mainz, wie man vermuthete, sondern wahrscheinlich in Gelnhausen geboren. Noch weniger sicher läßt sich das Jahr seiner Geburt feststellen; einige setzen 1622, andere spätestens 1625 an. Am 25. Januar 1635 ward er von den Hessen aufgegriffen und that in früher Jugend Kriegsdienste.

Seit dem zehnten Jahre erscheint er·als Musketier. Am Schlusse des dreißigjährigen Kriegs war er ungefähr 26 Jahre alt. Einzelne Punkte, die er in jener Zeit besucht hat, wie Offenburg und Philippsburg, sind ziemlich sicher. Am Kriege hat er mit wahrer Lust theilgenommen. Manchfache Reisen, in vielen Gegenden Deutschlands, in der Schweiz, in Böhmen, in Niederland und Frankreich verschafften ihm reiche Menschenkenntniß und Lebenserfahrung. Spätestens 1667 wurde er bischöflicher Schultheiß in Renchen, im jetzigen großherzoglich badischen Amt Oberkirch. Bürgerlicher und armer Abkunft hat er später den Adel erworben. Vielleicht stammt der Name Grimmelshausen auch erst aus jener Zeit, wo er den offenen Helm und ein Wappen erhielt. K. Chr. Becker vermuthet, er habe zu den bei der Zerstörung von Gelnhausen vertriebenen Burgmannen gehört, was ihm später eine höhere Stellung erleichtert hätte.

In vorgerückteren Jahren sehen wir ihn in hoher Achtung und in Verbindung mit bedeutenden Familien stehen, worunter die Schauenburg, Crailsheim, Fleckenstein besonders genannt werden. Er starb am 17. August 1676. Seine Kinder waren bei seinem Tode alle in Renchen anwesend. Dort ist seine Spur noch später zu finden. Sein Wohnhaus war das jetzige Gasthaus zum Adler daselbst. Aus dem Kirchenbuche in Renchen ergeben sich noch einzelne Nachweise über seine Familie. Seine Frau hieß Katharina Henninger; 1669 gebar sie ihm eine Tochter; 1675 starb ihm ein Sohn. Noch im J. 1711 kommt in Renchen ein Hauptmann und Postmeister Christof v. G. vor. - Die in der Jugend versäumten Studien muß G. in späteren Jahren mit Erfolg nachgeholt haben, so daß er im Todtenbuche von Renchen als Mann von großem Geist und Gelehrsamkeit bezeichnet werden konnte. Wenn ihm auch ein streng methodisches Wissen fehlte, so beurkunden ihn doch seine Schriften als ausgestattet mit manchfaltigen Kenntnissen, in alten und neuen Sprachen, in der Rechtswissenschaft, Theologie. Mathematik, Astronomie. Bewandert ist er in älterer und neuerer deutscher Dichtung und Sage, dem Heldenbuch den Volksbüchern, den Meistersängern, besonders Hans Sachs, Fischart, Schupp, Moscherosch, Logau, Zinkgreff, Weise, der Litteratur der Schwänke und Novellen, selbst Italiens und Frankreichs.

Bei allem geistigen Streben bleibt G. in der Schranke seiner Zeit befangen in Bezug auf das Zauberwesen und verwandten Aberglauben, wenn auch zuweilen die Skepsis in der Form der Ironie durchzubrechen scheint. In seinen kirchlichen Ansichten steht G. auf freier Warte über den Spaltungen der Zeit. Er ist ein entschiedener Christ, aber "weder petrisch, noch paulisch"; durch seine Werke geht ein warmer Zug christlich-sittlicher Gesinnung und die Friedenssehnsucht nach allgemeiner Vereinigung der Nachfolger Christi. Als Protestant geboren und erwachsen, an Luthers Bibel genährt, lebte und schrieb er in protestantischem Geiste, wenn er auch später vielleicht, durch äußere Verhältnisse veranlaßt, sich bestimmen ließ, zur katholischen Confession zu halten. Doch ist ein Uebertritt keineswegs beglaubigt und die dafür geltend gemachten Gründe durch K. Chr. Becker (Mittheilungen des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde in Frankfurt a. M., 1861, Bd. 2, Nr. 1, S. 57 ff.) entkräftet. Die Vermuthung, daß er wirklich übergetreten sei, stützt sich vornehmlich auf den Umstand, daß er in späteren Jahren als Schultheiß von Renchen im Dienste des Bischofs von Straßburg (Egon von Fürstenberg) angestellt war, worauf aber kein zwingender Schluß auf seinen Katholicismus zu gründen ist.

Ebenso wenig beweist der Eintrag seines Todes in das Renchener Kirchenbuch durch den katholischen Pfarrer, der wohl mit dem angesehenen Beamten auf freundlichem Fuße verkehrte und in den damals noch weniger scharf getrennten Verhältnissen leicht zu einer duldsamen Behandlung veranlaßt sein konnte. Neben seinem amtlichen Berufe (die 1667 entworfene Mühlenordnung ist noch vorhanden) waren seine späteren Lebensjahre besonders durch seine schriftstellerische Thätigkeit in Anspruch genommen, welche sich auf dem Gebiete des Romans und der Satire in großer Fruchtbarkeit entfaltete. Grimmelhausens frühere Schriften bewegen sich noch in den alten Bahnen; dem "Fliegenden Wandersmann nach dem Monde", 1659 erschienen, liegt ein französisches Original zu Grunde. Der erste Versuch des Verfassers im Roman nach dem Modestil seiner Zeit ist "Der keusche Joseph" (1667); dazu die Fortsetzung "Des keuschen Josephs Dieners Musai Lebenserzählung". Es ist eine weitere Ausführung der biblischen Geschichte, die in jener Zeit auch von Philipp v. Zesen behandelt wurde. Aus dem gleichen J. 1667 stammt "Der stolze Melcher", die Geschichte eines reichen Bauernsohnes, der sich hat verleiten lassen, französische Kriegsdienste gegen Holland zu nehmen, und krank und verarmt heimkehrt. Das Hauptwerk aber und die Frucht seiner eigensten Dichterkraft ist der "Abenteuerliche Simplicissimus" von German Schleifheim von Sulsfort, zuerst 1669 erschienen. Der Dichter stellt sich hier mitten in seine Zeit und schildert, sichtlich an eigene Erlebnisse anknüpfend und ziemlich genau dem Gang der Geschichte folgend, die Zustände seines Vaterlands während des verheerenden Krieges. Bei der Dürftigkeit urkundlicher Nachrichten über den Verfasser liegt die Versuchung nahe, in den Schicksalen des Simplicissimus das Leben Grimmelshausens in wesentlichen Ereignissen und Wendungen dargestellt zu sehen und das Buch als eine Art Autobiographie und Selbstbekenntniß zu betrachten. Man wird in dieser Annahme bestärkt durch die Geheimthuerei, womit der Verfasser seinen Namen in Anagrammen versteckt. Je mehr er dieser Maske vertraute, um so sicherer durfte er in der Erzählung dem wirklichen Gange seiner Erlebnisse folgen. Aber genauere Vergleichung der Abenteuer des Simplicissimus mit den geschichtlich beglaubigten Thatsachen mahnt zur Vorsicht in Berwerthung des Romans für die Biographie des Verfassers. Litterarisch betrachtet, führte G. mit dem "Simplicissimus" den Vagabundenroman in das Deutsche ein. Der Geist der Mendoza, Aleman und Cervantes weht hier, aber in ganz deutscher Luft. Man hat vermuthet, daß auf die Anlage des Ganzen der Plan von Wolframs "Parcival" nicht ohne Einfluß gewesen sei; doch ist die Aehnlichkeit beider Dichtungen nicht über die allgemeinsten Entwickelungspunkte hinaus durchzuführen. Darin jedesfalls sind sich beide Werke gleich, daß der Plan mit großer Kunst durchdacht und ausgeführt ist. Später wurde dem Simplicissimus, sicherlich gegen die ursprüngliche Absicht, noch ein sechstes Buch und mehrere Continuationen beigefügt. Dieses sechste Buch ist bedeutsam als älteste deutsche Robinsonade, vor Robinson Crusoe. Außer den später eingefügten "Continuationen" schließen sich auch einige weitere Romane zunächst an den Simplicissimus an:

1.) "Die Lebensbeschreibung der Landstörzerin Courasche", 1670, einer Gefährtin des Simplicissimus, welche ihn mit ihrer Liebe und einer Frucht derselben beglückt und dadurch zur Flucht nöthigt, das Bild einer frechen landfahrenden Dirne.

2.) "Der seltsame Springinsfeld, d. i. Lebensbeschreibung eines frischen, tapfern Soldaten, nunmehro aber ausgemergelten, abgelebten Landstörzers samt seiner wunderlichen Gaukeltasche", 1670, aber nach der "Courasche", geschrieben. Springinsfeld begleitet den Simplicissimus auf seinen Kriegsfahrten und ist auch mit der Courasche als ihr Strohmann verbunden. Diese beiden unter einander nahe zusammenhängenden Schriften, dem Inhalte nach manchfach anwidernd, sind von hohem Werthe als treffende Sittenschilderungen aus jener wilden Zeit der Auslösung und Verwüstung nach dem Kriege.

3.) "Das wunderbarliche Vogelnest" (1672) führt wieder in die Zeit nach dem Kriege ein Mehrere novellistische Stoffe sind darin durch die Fiction von einem unsichtbar-machenden Vogelneste zusammengehalten, das die wechselnden Besitzer zu abenteuerlichen Unternehmungen veranlaßt.

Das Ganze ist mit viel Humor und großer Kunst dargestellt. Eine der köstlichsten volksthümlichen Erzählungen ist die vom "Ersten Bärenheuter", dessen erste Ausgabe von 1670 nun nachzuweisen ist (ein Exemplar im Besitze von Herrn W. Seibt in Frankfurt a. M·), ein heiteres Märchen. Im gleichen Jahr 1670 ist erschienen "Des abenteuerlichen Simplicissimi ewig währender Eulender". Simplicissimus erscheint darin als Kalendermann, der über Alles in das Kalenderwesen, Sterndeuten, Wetterprophezeien u. dgl. einschlagende, zum Theil mit überlegener Laune, berichtet. Im Stile der älteren Zeit gehalten ist "Dietwalds und Amelinden anmuthige Lieb- und Leidsbeschreibung" (1670), eine romantische Liebesgeschichte, deren Abenteuer an den "Wilhelm von England" von Chrestien von Troyes und an die Geschichte Magelonens erinnern, und der Roman "Proximus und Lympida" (1672). Der "Deutsche Michel" (1673) ist besonders als Ausdruck der vaterländischen Gesinnung des Verfassers von Bedeutung, zunächst gegen die Sprachverderber gerichtet, die in den extremen Gegensätzen der Sprachmengerei und des Purismus lächerlich gemacht werden. Auch aus andern Schriften ist seine warme Vaterlandsliebe und sein weiter politischer Blick ersichtlich, wornach ihm eine Vorahnung der einstigen staatlichen Einigung und Macht Deutschlands zu Theil ward; im "Simplicissimus" ist in phantastischem Zusammenhang ein künftiger deutscher Held prophezeit, der den Universalfrieden bringen und die Religionen vereinigen werde. Das "Galgenmännlein" (1673) ist lehrreich über das Zauberwesen der Zeit und des Dichters Verhältniß zu demselben. Von 1683 an erschienen Sammelansgaben seiner Schriften.

Von neueren ist zu nennen die kritische Ausgabe des Unterzeichneten, für den litterarischen Verein in Stuttgart in 4 Bänden gedruckt 1854—62; die von Heinrich Kurz, Leipzig 1863 f., 4 Bände, auf unrichtiger Werthung der alten Ausgaben beruhend; die von Julius Tittmann, Leipzig 1877, 2 Bände, mit Modernisirung der Sprache; alle drei Ausgaben mit Abhandlungen und Erläuterungen ausgestattet. Mit Recht ist G. kürzlich von L. Geiger ein Schriftsteller ersten Ranges und der bedeutendste deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts genannt worden, der gründlich das Vorurtheil besiegt, daß jene Zeit nichts Beachtenswerthes in diesem Gebiete hinterlassen habe. Die simplicianischen Schriften sind mit großer Kunst geschrieben. durch reizvollen Humor belebt und durch genaue Schilderung der staatlichen und geselligen Verhältnisse lehrreich und anziehend. Selbst in den Fortsetzungen des Hauptwerkes zeigt sich das große Talent des Culturhistorikers, die üppige Phantasie des Dichters, die sittliche Absicht des Schriftstellers, der nicht reizen und verführen, sondern gewinnen und die Wahrheit in einer Weise sagen wollte, in der sie gerne gehört und angenommen wird.


coverDer Abentheurliche
Simplicissimus
Teutsch

Das ist:

Die Beschreibung deß Lebens eines
seltzamen Vaganten genant Melchior
Sternfels von Fuchshaim wo und welcher
gestalt Er nemlich in diese Welt kommen was
er darinn gesehen gelernet erfahren und auß-
gestanden auch warumb er solche wieder
freywillig quittirt.
Überauß lustig und mænniglich
nutzlich zu lesen.

An Tag geben
Von
German Schleifheim
von Sulsfort.

Monpelgart

Gedruckt bey Johann Fillion

Im Jahr M DC LXIX.


Das 1. Kapitel

Vermeldet Simplicii bäurisch Herkommen und gleichförmige Auferziehung.

Es eröffnet sich zu dieser unserer Zeit (von welcher man glaubt, daß es die letzte seie) unter geringen Leuten eine Sucht, in deren die Patienten, wann sie daran krank liegen und so viel zusammengeraspelt und erschachert haben, daß sie neben ein paar Hellern im Beutel ein närrisches Kleid auf die neue Mode, mit tausenderlei seidenen Banden, antragen können, oder sonst etwan durch Glücksfall mannhaft und bekannt worden, gleich rittermäßige Herren und adeliche Personen von uraltem Geschlecht sein wollen; da sich doch oft befindet, daß ihre Voreltern Taglöhner, Karchelzieher und Lastträger, ihre Vettern Eseltreiber, ihre Brüder Büttel und Schergen, ihre Schwestern Huren, ihre Mütter Kupplerinnen, oder gar Hexen, und in Summa, ihr ganzes Geschlecht von allen 32 Ahnen her, also besudelt und befleckt gewesen, als des Zuckerbastels Zunft zu Prag immer sein mögen; ja sie, diese neue Nobilisten, seind oft selbst so schwarz, als wann sie in Guinea geboren und erzogen wären worden.

Solchen närrischen Leuten nun mag ich mich nicht gleichstellen, ob zwar, die Wahrheit zu bekennen, nicht ohn ist, daß ich mir oft eingebildet, ich müsse ohnfehlbar auch von einem großen Herrn, oder wenigst einem gemeinen Edelmann, meinen Ursprung haben, weil ich von Natur geneigt, das Junkern Handwerk zu treiben, wann ich nur den Verlag und den Werkzeug dazu hätte. Zwar ohngescherzt, mein Herkommen und Auferziehung läßt sich noch wohl mit eines Fürsten vergleichen, wann man nur den großen Unterscheid nicht ansehen wollte. Was? Mein Knan (dann also nennet man die Vätter im Spessert) hatte einen eignen Palast, so wohl als ein anderer, ja so artlich, dergleichen ein jeder König mit eigenen Händen zu bauen nicht vermag, sondern solches in Ewigkeit wohl unterwegen lassen wird; er war mit Leimen gemalet und anstatt des unfruchtbaren Schiefers, kalten Blei und roten Kupfers mit Stroh bedeckt, darauf das edel Getreid wächst; und damit er, mein Knan, mit seinem Adel und Reichtum recht prangen möchte, ließ er die Mauer um sein Schloß nicht mit Mauersteinen, die man am Weg findet oder an unfruchtbaren Orten aus der Erden gräbt, viel weniger mit liederlichen gebachenen Steinen, die in geringer Zeit verfertigt und gebrennt werden können, wie andere große Herren zu tun pflegen, aufführen; sondern er nahm Eichenholz dazu, welcher nutzliche edle Baum, als worauf Bratwürste und fette Schinken wachsen, bis zu seinem vollständigen Alter über hundert Jahr erfordert: Wo ist ein Monarch, der ihm dergleichen nachtut? Seine Zimmer, Säle und Gemächer hatte er inwendig vom Rauch ganz erschwarzen lassen, nur darum, dieweil dies die beständigste Farb von der Welt ist und dergleichen Gemäld bis

zu seiner Perfektion mehr Zeit brauchet, als ein künstlicher Maler zu seinen trefflichsten Kunststücken erfordert; die Tapezereien waren das zärteste Geweb auf dem ganzen Erdboden, dann diejenige machte uns solche, die sich vor alters vermaß, mit der Minerva selbst um die Wett zu spinnen; seine Fenster waren keiner anderer Ursachen halber dem Sant Nitglas gewidmet, als darum, dieweil er wußte, daß ein solches, vom Hanf oder Flachssamen an zu rechnen, bis es zu seiner vollkommenen Verfertigung gelangt, weit mehrere Zeit und Arbeit kostet, als das beste und durchsichtigste Glas von Muran, dann sein Stand macht ihm ein Belieben zu glauben, daß alles dasjenige, was durch viel Mühe zuwegen gebracht würde, auch schätzbar und desto köstlicher sei, was aber köstlich seie, das seie auch dem Adel am anständigsten; anstatt der Pagen, Lakaien und Stallknecht hatte er Schaf, Böcke und Säu, jedes fein ordenlich in seine natürliche Liberei gekleidet, welche mir auch oft auf der Weid aufgewartet, bis ich sie heimgetrieben. Die Rüst- oder Harnischkammer war mit Pflügen, Kärsten, Äxten, Hauen, Schaufeln, Mist- und Heugabeln genugsam versehen, mit welchen Waffen er sich täglich übet; dann Hacken und Reuten war seine disciplina militaris, wie bei den alten Römern zu Friedenszeiten, Ochsen anspannen war sein hauptmannschaftliches Kommando, Mist ausführen sein Fortifikationwesen, und Ackern sein Feldzug, Stallausmisten aber sein adeliche Kurzweil und Turnierspiel; hiermit bestritte er die ganze Weltkugel, soweit er reichen konnte, und jagte ihr damit alle Ernt ein reiche Beut ab. Dieses alles setze ich hindan und überhebe mich dessen ganz nicht, damit niemand Ursach habe, mich mit andern meinesgleichen neuen Nobilisten auszulachen, dann ich schätze mich nicht besser, als mein Knan war, welcher diese seine Wohnung an einem sehr lustigen Ort, nämlich im Spessert liegen hatte, allwo die Wölf einander gute Nacht geben. Daß ich aber nichts Ausführliches von meines Knans Geschlecht, Stammen und Namen vor diesmal doziert, geschieht um geliebter Kürze willen, vornehmlich, weil es ohnedas allhier um keine adeliche Stiftung zu tun ist, da ich soll auf schwören; genug ists, wann man weiß, daß ich im Spessert geboren bin.

Gleichwie nun aber meines Knans Hauswesen sehr adelich vermerkt wird, also kann ein jeder Verständiger auch leichtlich schließen, daß meine Auferziehung derselben gemäß und ähnlich gewesen; und wer solches davorhält, findet sich auch nicht betrogen, dann in meinem zehenjährigen Alter hatte ich schon die principia in obgemeldten meines Knans adelichen Exerzitien begriffen, aber der Studien halber konnte ich neben dem berühmten Amplistidi hin passieren, von welchem Suidas meldet, daß er nicht über fünfe zählen konnte; dann mein Knan hatte vielleicht einen viel zu hohen Geist und folgte dahero dem gewöhnlichen Gebrauch jetziger Zeit, in welcher viel vornehme Leut mit Studieren, oder wie sie es nennen, mit Schulpossen sich nicht viel bekümmern, weil sie ihre Leut haben, der Plackscheißerei abzuwarten. Sonst war ich ein trefllicher Musikus auf der Sackpfeifen, mit deren ich schöne Jalemigesäng machen konnteSackpfeife Aber die Theologiam anbelangend, laß ich mich nicht bereden, daß einer meines Alters damals in der ganzen Christenwelt gewest seie, der mir darin hätte gleichen mögen, dann ich kennete weder Gott noch Menschen, weder Himmel noch Höll, weder Engel noch Teufel, und wußte weder Gutes noch Böses zu unterscheiden: dahero ohnschwer zu gedenken, daß ich vermittelst solcher Theologiae wie unsere erste Eltern im Paradies gelebt, die in ihrer Unschuld von Krankheit, Tod und Sterben, weniger von der Auferstehung nichts gewußt. O edles Leben! (du mögst wohl Eselsleben sagen) in welchem man sich auch nichts um die Medizin bekümmert. Eben auf diesen Schlag kann man mein Erfahrenheit in dem studio legum und allen andern Künsten und Wissenschaften, soviel in der Welt sein, auch verstehen. Ja ich war so perfekt und vollkommen in der Unwissenheit daß mir unmöglich war zu wissen, daß ich so gar nichts wußte. Ich sage noch einmal: o edles Leben, das ich damals führete! Aber mein Knan wollte mich solche Glückseligkeit nicht länger genießen lassen, sondern schätzte billich sein, daß ich meiner adelichen Geburt gemäß auch adelich tun und leben sollte, dero wegen fienge er an, mich zu höhern Dingen anzuziehen und mir schwerere Lectiones aufzugeben.

Das 2. Kapitel

Beschreibet die erste Staffel der Hoheit, welche Simplicius gestiegen, samt dem Lob der Hirten, und angehängter trefflichen Instruktion.

Er begabte mich mit der herrlichsten Dignität, so sich nicht allein bei seiner Hofhaltung, sondern auch in der ganzen Welt befande, nämlich mit dem Hirtenamt. Er vertraut mir erstlich seine Säu, zweitens seine Ziegen, und zuletzt seine ganze Herd Schaf, daß ich selbige hüten, weiden, und vermittelst meiner Sackpfeifen (welcher Klang ohnedas, wie Strabo schreibet, die Schaf und Lämmer in Arabia fett macht) vor dem Wolf beschützen sollte.

Damals gleichete ich wohl dem David, außer daß jener, anstatt der Sackpfeife, nur eine Harpfe hatte, welches kein schlimmer Anfang, sondern ein gut Omen für mich war, daß ich noch mit der Zeit, wann ich anders das Glück dazu hätte, ein weltberühmter Mann werden sollte; dann von Anbeginn der Welt seind jeweils hohe Personen Hirten gewesen, wie wir dann vom Abel, Abraham, Isaak, Jakob, seinen Söhnen und Moyse selbst in der H. Schrift lesen, welcher zuvor seines Schwähers Schaf hüten mußte, ehe er Heerführer und Legislator über 600 000 Mann in Israel ward. Ja, möchte mir jemand vorwerfen, das waren heilige gottergebene Menschen, und keine Spesserter Baurenbuben, die von Gott nichts wußten; ich muß gestehen, aber was hat meine damalige Unschuld dessen zu entgelten? Bei den alten Heiden fande man sowohl solche Exempla als bei dem auserwählten Volk Gottes: Unter den Römern seind vornehme Geschlechter gewesen, so sich ohn Zweifel Bubulcos, Statilios, Pomponios, Vitulos, Vitellios, Annios, Capros und dergleichen genennet, weil sie mit dergleichen Viehe umgangen, und solches auch vielleicht gehütet; zwar Romulus und Remus sein selbst Hirten gewest; Spartacus, vor welchem sich die ganze Römische Macht so hoch entsetzet, war ein Hirt. Was? Hirten sind gewesen (wie Lucianus in seinem Dialogo Helenae bezeuget) Paris, Priami des Königs Sohn, und Anchises, des trojanischen Fürsten Aeneae Vatter, der schöne Eudimion, um welchen die keusche Luna selbst gebuhlet, war auch ein Hirt, item der greuliche Polyphemus, ja die Götter selbst (wie Phornutus sagt) haben sich dieser Profession nicht geschämt. Apollo hütet Admeti, des Königs in Thessalia, Kühe; Mercurius, sein Sohn Daphnis, Pan und Proteus waren Erzhirten, dahero seind sie noch bei den närrischen Poeten der Hirten Patronen; Mesa, König in Moab, ist, wie man im zweiten Buch der König lieset, ein Hirt gewesen, Cyrus, der gewaltige König Persarum, ist nicht allein von Mithridate, einem Hirten, erzogen worden, sondern hat auch selbst gehütet; Gyges war ein Hirt, und hernach durch Kraft eines Rings ein König. Ismael Sophi, ein persischer König, hat in seiner Jugend ebenmäßig das Viehe gehütet, also daß Philo der Jud in vita Moysis treulich wohl von der Sach redet, wann er sagt: das Hirtenamt sei ein Vorbereitung und Anfang zum Regiment; dann gleichwie die bellicosa und martialia ingenia erstlich auf der Jagd geübt und angeführt werden, also soll man auch diejenige, so zum Regiment gezogen sollen werden, erstlich in dem lieblichen und freundlichen Hirtenamt anleiten. Welches alles mein Knan wohl verstanden haben muß, und mir noch bis auf diese Stund keine geringe Hoffnung zu künftiger Herrlichkeit macht.

Aber indessen wieder zu meiner Herd zu kommen, so wisset, daß ich den Wolf ebensowenig kennet, als meine eigene Unwissenheit selbsten; derowegen war mein Knan mit seiner Instruktion desto fleißiger. Er sagte: »Bub, biß fleißig, loß di Schoff nit ze weit vunananger laffen, un spill wacker uff der Sackpfeifea, daß der Wolf nit kom, und Schada dau, dann he yß a solcher feyerboinigter Schelm un Dieb, der Menscha und Vieha frißt, un wan dau awer farlässj bißt, so will eich dir da Buckel arauma.« Ich antwortet mit gleicher Holdseligkeit: »Knano, sag mir aa, wey der Wolf seyhet? Eich huun noch kan Wolf gesien.« »Ah dau grober Eselkopp«, repliziert er hinwieder, »dau bleiwest dein Lewelang a Narr, geith meich wunner, was auß dir wera wird, bißt schun su a grusser Dölpel, un waist noch neit, was der Wolf für a feyerfeussiger Schelm iß.« Er gab mir noch mehr Unterweisungen und wurde zuletzt unwillig, maßen er mit einem Gebrümmel fort gieng, weil er sich bedunken ließe, mein grober Verstand könnte seine subtile Unterweisungen nicht fassen.

Das 3. Kapitel

Meldet von dem Mitleiden einer getreuen Sackpfeife.

Da fienge ich an mit meiner Sackpfeifen so gut Geschirr zu machen, daß man den Krotten im Krautgarten damit hätte vergeben mögen, also daß ich vor dem Wolf, welcher mir stetig im Sinn lag, mich sicher genug zu sein bedunkte; und weilen ich mich meiner Meuder erinnert (also heißen die Mütter im Spessert und am Vogelsberg) daß sie oft gesagt, sie besorge, die Hühner würden dermaleins von meinem Gesang sterben, als beliebte mir auch zu singen, damit das Remedium wider den Wolf desto kräftiger wäre, und zwar ein solch Lied, das ich von meiner Meuder selbst gelernet hatte:

Du sehr verachter Baurenstand,
Bist doch der beste in dem Land,
Kein Mann dich gnugsam preisen kann,
Wann er dich nur recht siehet an.

Wie stünd es jetzund um die Welt,
Hätt Adam nicht gebaut das Feld,
Mit Hacken nährt sich anfangs der,
Von dem die Fürsten kommen her.

Es ist fast alles unter dir,
Ja was die Erd nur bringt herfür,
Wovon ernähret wird das Land,
Geht dir anfänglich durch die Hand.

Der Kaiser, den uns Gott gegeben,
Uns zu beschützen, muß doch leben
Von deiner Hand; auch der Soldat,
Der dir doch zufügt manchen Schad.

Fleisch zu der Speis zeugst auf allein,
Von dir wird auch gebaut der Wein,
Dein Pflug der Erden tut so not,
Daß sie uns gibt genugsam Brod.

Die Erde wär ganz wild durchaus,
Wann du auf ihr nicht hieltest Haus,
Ganz traurig auf der Welt es stünd,
Wenn man kein Bauersmann mehr fünd.
Drum bist du billich hoch zu ehrn,

Weil du uns alle tust ernährn.
Die Natur liebt dich selber auch,
Gott segnet deinen Baurenbrauch.
Vom bitterbösen Podagram

Hört man nicht, daß an Bauren kam,
Das doch den Adel bringt in Not,
Und manchen Reichen gar in Tod.
Der Hoffart bist du sehr befreit,

Absonderlich zu dieser Zeit,
Und daß sie auch nicht sei dein Herr,
So gibt dir Gott des Kreuzes mehr.
Ja der Soldaten böser Brauch

Dient gleichwohl dir zum besten auch,
Daß Hochmut dich nicht nehme ein,
Sagt er: Dein Hab und Gut ist mein.

Bis hierher und nicht weiter kam ich mit meinem Gesang, dann ich ward gleichsam in einem Augenblick von einem Truppen Courassierer samt meiner Herd Schaf umgeben, welche im großen Wald verirret gewesen und durch meine Musik und Hirtengeschrei wieder zurecht gebracht worden waren.

Hoho, gedachte ich, dies seind die rechte Käuz! dies seind die vierbeinigte Schelmen und Dieb, davon dir dein Knan sagte, da ich sahe anfänglich Roß und Mann (wie hiebevor die Amerikaner die spanische Kavallerei) vor ein einzige Kreatur an, und vermeinte nicht anders, als es müßten Wölfe sein, wollte derowegen diesen schröcklichen Centauris den Hundssprung weisen und sie wieder abschaffen; ich hatte aber zu solchem End meine Sackpfeife kaum aufgeblasen, da erdappte mich einer aus ihnen beim Flügel, und schleudert mich so ungestüm auf ein leer Baurenpferd, so sie neben andern mehr auch erbeutet hatten, daß ich auf der andern Seiten wieder herab auf meine liebe Sackpfeife fallen mußte, welche so erbärmlich anfieng zu schreien, als wann sie alle Welt zu Barmherzigkeit bewegen hätte wollen: aber es half nichts, wiewohl sie den letzten Atem nicht sparete, mein Ungefäll zu beklagen, ich mußte einmal wieder zu Pferd, Gott geb was meine Sackpfeife sang oder sagte; und was mich zum meisten verdroß, war dieses, daß die Reuter vorgaben, ich hätte der Sackpfeife im Fallen wehe getan, darum sie dann so ketzerlich geschrieen hätte; also gieng meine Mähr mit mir dahin, in einem stetigen Trab, wie das primum mobile, bis in meines Knans Hof. Wunderseltsame Dauben stiegen mir damals ins Hirn, dann ich bildete mir ein, weil ich auf einem solchen Tier säße, dergleichen ich niemals gesehen hatte, so würde ich auch in einen eisernen Kerl verändert werden, weil aber solche Verwandlung nicht folgte, kamen mir andere Grillen in Kopf; ich gedachte, diese fremde Dinger wären nur zu dem Ende da, mir die Schafe helfen heimzutreiben, sintemal keiner von ihnen keines hinwegfraß, sondern alle so einhellig, und zwar des geraden Wegs, meines Knans Hof zueileten. Derowegen sahe ich mich fleißig nach meinem Knan um, ob er und mein Meuder uns nicht bald entgegengehen und uns willkomm sein heißen wollten; aber vergebens, er und meine Meuder, samt unserm Ursele, welches meines Knans einige Tochter war, hatten die Hindertür troffen, und wollten dieser Gäst nicht erwarten.
 

Das 1. Kapitel.

Berichtet von des Simplicius bäurischem Herkommen und ebensolcher Erziehung.

Es zeigt sich in dieser unserer Zeit (von der man glaubt, dass es die letzte sei) unter gewöhnlichen Leuten eine Sucht, bei der die Patienten, wenn sie daran erkranken und so viel zusammengerafft und erschachert haben, dass sie, neben ein paar Hellern im Beutel, ein närrisches Kleid mit tausenderlei Seidenbändern nach der neuen Mode zur Schau tragen können oder glücklich auf eigenen Beinen stehen und sich einen Namen gemacht haben, sogleich auch Ritterherren und Adelspersonen von uraltem Geschlecht sein wollen. Dabei verhält es sich doch oft so, dass ihre Vorfahren Tagelöhner, Karrenzieher und Lastträger, ihre Vettern Eseltreiber, ihre Brüder Büttel und Schergen, ihre Schwestern Huren, ihre Mütter Kupplerinnen oder gar Hexen waren, kurz, dass ihr ganzes Geschlecht von allen zweiunddreißig Ahnen her genauso besudelt und befleckt gewesen ist wie des Zuckerbastels Diebeszunft in Prag.* Ja, diese neuen Nobilisten sind oft selbst so schwarz, als wenn sie in Guinea geboren und erzogen worden wären.

Mit solchen närrischen Leuten möchte ich nicht in einen Topf geworfen werden, obwohl ich mir, um die Wahrheit zu bekennen, tatsächlich oft eingebildet habe, auch ich müsse von einem großen Herrn oder wenigstens einem einfachen Edelmann herstammen. Denn von Natur aus war ich immer geneigt, das Junkerhandwerk zu treiben, wenn ich nur das Geld und die Mittel dazu gehabt hätte. Und tatsächlich kann man mein Herkommen und meine Erziehung durchaus mit der eines Fürsten vergleichen, wenn man nur den großen Unterschied außer Acht lässt.

Wie bitte?

Nun, mein Knan (so nennt man die Väter im Spessart) hatte einen eigenen Palast, so gut wie jeder andere und sogar noch schöner, als ein König ihn sich mit eigenen Händen je erbauen könnte. Der war mit Lehm verputzt, und statt mit unfruchtbarem Schiefer, kaltem Blei oder rotem Kupfer war er mit Stroh gedeckt, auf dessen Halmen das edle Getreide wächst. Um mit seinem Adel und Reichtum recht zu protzen, ließ mein Knan die Mauer um sein Schloss auch nicht mit Mauersteinen aufrichten, wie man sie am Weg findet oder an unfruchtbaren Orten aus der Erde gräbt, und erst recht nicht, wie es andere große Herren zu tun pflegen, mit kümmerlichen Backsteinen, die in kurzer Zeit verfertigt und gebrannt werden können; sondern er nahm dazu Eichenholz, von einem nützlichen, edlen Baum, auf dem Bratwürste und fette Schinken wachsen* und der hundert Jahre braucht, bis er sich ausgewachsen hat. Wo ist der Monarch, der ihm solches nachtut?

Die Zimmer, Säle und Gemächer hatte er innen nur deshalb vom Rauch ganz schwärzen lassen, weil dies die haltbarste Farbe der Welt ist und weil ein solches Gemälde zu seiner Vollendung mehr Zeit erfordert, als ein geschickter Maler für seine trefflichsten Kunstwerke aufwendet. Die Tapisserien waren aus dem zartesten Gewebe, das man auf der ganzen Erde findet, denn jene hatte sie für uns gemacht, die sich vor Zeiten erdreistet hatte, mit Minerva selbst um die Wette zu spinnen.* Die Fenster hatte er nur deshalb dem Sankt Nittglas gewidmet, weil er wusste, dass solche aus Papier, von der Aussaat der Hanf- oder Flachssamen bis zu ihrer vollkommenen Verfertigung gerechnet, weit mehr Zeit und Arbeit kosten als das beste und durchsichtigste Glas von Murano.* Denn sein Stand ließ ihn glauben, dass alles, wis durch viel Mühe zuwege gebracht wird, auch besonders schätzbar und deshalb besonders kostbar und alles Kostbare (dem Adel besonders angemessen sei.

Statt Pagen, Lakaien und Stallknechte hatte er Schafe, Böcke und Säue, die, jedes fein ordentlich in seine natürliche livree gekleidet, auch mir auf der Weide oft aufgewartet haben, bis ich sie dann heimtrieb. Die Waffen- oder Harnischkammer war mit Pflügen, Hacken, Äxten, Hauen, Schaufeln, Mist- und Heugabeln wohlversehen, und mit diesen Waffen üibte er sich jeden Tag. Denn Hacken und Roden war seine disciplina militaris, wie bei den alten Römern zu Friedenszeiten. Beim Ochsenanspannen übte er sich als Befehlshaber, mit Mistfahren befestigte er die Umwallung seines Anwesens, das Ackern war sein Feldzug, das Stallausmisten aber seine adelige Kurzweil, sein Turnierspiel. In dieser Weise bekriegte er die ganze Weltkugel, so weit er darauf kam, und jagte ihr bei jeder Ernte reiche Beute ab.

Dies alles achte ich gering und bilde mir nichts darauf ein, damit niemand einen Grund habe, mich mit anderen ähnlichen neuen Nobilisten auszulachen, denn ich halte mich für nichts Besseres, als was mein Knan war, welcher diese seine Wohnung an einem sehr angenehmen Ort hatte — nämlich im Spessart, wo die Wölfe einander gute Nacht sagen. Dass ich aber nichts Ausführliches von meines Knans Geschlecht, Abstammung und Namen mitteile, geschieht vor allem der Kürze zuliebe und weil es hier nicht darum geht, eine adelige Ahnenreihe nachzuweisen und zu beeiden. Es genügt doch, wenn man weiß, dass ich im Spessart geboren bin.

Nachdem nun klargeworden ist, wie adelig das Hauswesen meines Knans war, wird jeder Verständige vermuten, (lass meine Erziehung von ebensolcher oder ähnlicher Art gewesen sein müsse — und wer das glaubt, der täuscht sich nicht. Schon mit zehn Jahren hatte ich die Grundsätze der eben geschilderten adeligen Exerzitien meines Knans begrifFen, während ich es in meinen Studien mit dem berühmten Amphisteides* durchaus aufnehmen konnte, von dem uns Suidas* berichtet, dass er nur bis fünf zählen konnte. Vielleicht fühlte sich mein Knan über dergleichen erhaben und folgte dem Brauch der heutigen Zeit, in der sich vornehme Personen ums Studieren oder um Schulpossen, wie sie es nennen, oft kaum kümmern, weil sie ihre Leute haben, die ihnen die Tintenkleckserei abnehmen. Im Übrigen war ich ein trefflicher Musicus und konnte auf der Sackpfeife schöne Klagelieder spielen. Was aber die Theologie angeht, so kann mir keiner erzählen, dass es damals in der ganzen Christenwelt auch nur einen meines Alters gegeben habe, der es mir darin gleichgetan hätte, denn ich wusste nichts von Gott und Menschen, Himmel und Hölle, Engeln und Teufeln und konnte Gut und Böse nicht unterscheiden. Daher kann man sich unschwer vorstellen, dass ich mit der gleichen Theologie gelebt habe wie unsere ersten Eltern im Paradies, die in ihrer Unschuld von Krankheit, Tod und Sterben und erst recht von der Auferstehung nichts wussten. O, edels Leben (man könnte auch sagen: Eselsleben), in dem man sich auch um die Medizin nicht kümmert! Genauso darf man sich meine Erfahrenheit im Studium der Rechte und in allen anderen Künsten und Wissenschaften auf der Welt vorstellen. Ja, ich war so perfekt und vollkommen in der Unwissenheit, dass es mir unmöglich war, zu wissen, dass ich gar nichts wusste. Ich sage noch einmal: O, edles Leben, das ich damals führte! Aber mein Knan wollte mich solche Glückseligkeit nicht länger genießen lassen, sondern hielt es für angebracht, dass ich, meiner adeligen Geburt gemäß, mich auch adelig aufführen und adelig leben sollte, und fing deshalb an, mich zu höheren Dingen zu erziehen und mir schwerere Lektionen aufzugeben.



Das 2. Kapitel.

Beschreibt die erste Stufe der Würde, die Simplicius erstiegen, rühmt außserdem die Hirten und gibt eine treffliche Unterweisung.

Er versah mich mit der herrlichsten Würde nicht allein seines Hofes, sondern der ganzen Welt, nämlich mit dem Hirtenamt. Er vertraute mir erstens seine Schweine, zweitens seine Ziegen und zuletzt seine ganze Schafherde an, auf dass ich sie hüten, weiden und vor dem Wolf beschützen sollte, und war vermittels meiner Sackpfeife, deren Klang, wie Strabo schreibt, die Schafe und Lämmer in Arabien obendrein fett macht.

Damals glich ich wohl dem David, außer dass der statt einer Sackpfeife nur eine Harfe hatte - kein schlechter Anfang für mich, sondern ein gutes Omen, dass ich mit der Zeit und einigem Glück eines Tages noch ein weltberühmter Mann werden könnte. Denn von Anbeginn der Welt sind immer wieder hohe Personen Hirten gewesen, wie wir in der Heiligen Schrift von Abel, Abraham, Isaak, Jakob und seinen Söhnen und von Moses selbst lesen, der seines Schwiegervaters Schafe hüten musste, ehe er Heerführer und Gesetzgeber über sechshunderttausend Israeliten wurde. Wollte mir jemand entgegenhalten, das seien heilige, gottergebene Menschen gewesen und keine Spessarter Bauernbuben, die von Gott nichts wissen, so muss ich das zugeben. Aber was kann meine damalige Unschuld dafür? Ähnliche Beispiele wie bei dem auserwählten Volk Gottes findet man auch bei den alten Heiden. Bei den Römern gab es vornehme Familien, die sich ohne Zweifel deshalb Bubulci, Statilii, Pomponii, Vituli, Vitellii, Annii und Caprae nannten*, weil sie mit solchem Vieh Handel trieben und es vielleicht auch gehütet haben. Auch Romulus und Remus sind Hirten gewesen. Spartacus, der die ganze Macht Roms in Angst und Schrecken versetzte, war ein Hirte. Wie bitte? Hirten, so bezeugt es Lukian in seinem Gespräch mit Helena, waren Paris, der Sohn des Königs Priamos, und Anchises, der Vater des trojanischen Fürsten Aeneas. Auch der schöne Endymion, um den selbst die keusche Luna buhlte, war ein Hirte, desgleichen der gräuliche Polyphem - ja, die Götter selbst, wie Cornutus* sagte, haben sich dieser Profession nicht geschämt: Apollo hütete die Kühe des Königs Admetos von Thessalien. Merkur und sein Sohn Daphnis, auch Pan und Proteus - das waren lauter Erzhirten, weshalb sie noch heute bei den närrischen Poeten als Schutzgötter der Hirten gelten. Mescha, König in Moab, ist ein Hirte gewesen, wie man im zweiten Buch der Könige liest.* Kyros, der mächtige König der Perser, ist nicht nur von Mithridates, einem Hirten, erzogen worden, sondern hat auch selbst gehütet. Gyges war ein Hirte und wurde nachher durch die Kraft eines Ringes König. Ismail Sophi*, ein persischer König, hat in seiner Jugend ebenfalls das Vieh gehütet, so dass Philon der Jude* wohl den Kern der Sache trifft, wenn er in seiner Lebensbeschreibung des Moses sagt, das Hirtenamt sei eine Vorbereitung und ein Anfang zum Regieren, denn so wie kämpferische und kriegerische Geister zuerst bei der Jagd geübt und erweckt würden, solle man jene, die zum Regieren erzogen werden sollen, zunächst in dem liebevollen, freundlichen Hirtenamt unterrichten. All das muss mein Knan gut verstanden haben, und noch in dieser Stunde macht es mir nicht geringe Hoffnung auf künftige Herrlichkeit.

Aber um auf meine Herde zurückzukommen, so wisset, dass ich den Wolf genauso wenig kannte wie meine eigene Unwissenheit. Deswegen war mein Knan mit seiner Unterweisung umso fleißiger. Er sagte: "Bub, bis fleißig. Loss die Schof nit ze weit vunananger laafen un spill wacker uff der Sackpfeifa, dass der Wolf nit komm und Schada dau, dann hej üss a solcher vieraboinigter Schelm und Dieb, der Menscha und Vieha frisst. Un wann du awer fahrlässi bist, so will eich dir da Buckel arauma." Ich antwortete genauso liebenswürdig: "Knan, sach mir aa, wie der Wolf ausseiht! Eich hun noch kan Wolf gesien." "Ah, dau grober Eselskopp", entgegnete er, "dau bleiwst dein Lewe lang a Narr. Geiht meich wunner, was aus dir wera wird. Bist schun su a grußer Dölpel un weißt noch neit, was der Wolf für a vierafeußiger Schelm is."* Er gab mir noch mehr Unterweisungen und wurde zuletzt unwillig, bis er brummelnd fortging, weil ihm schien, mein grober Verstand begreife seine subtilen Lehren nicht.

Das 3. Kapitel.

Berichtet vom Mitleid einer getreuen Sackplfeife.

Von nun an veranstaltete ich auf meiner Sackpfeife ein solches Gezwitscher, dass man die Kröten im Krautgarten damit hätte vergiften können, und fühlte mich vor dem Wolf, der mir nicht mehr aus dem Sinn ging, halbwegs sicher. Und weil ich mich meiner Meuder erinnerte (so heißen die Mütter im Spessart und im Vogelsberg) und dass sie oft gesagt hatte, sie fürchte, eines Tages würden noch die Hühner von meinem Gesang tot umfallen, begann ich auch zu singen, damit das Mittel gegen den Wolf desto stärker wirke, und zwar ein Lied, das ich von meiner Meuder selbst gelernt hatte.

Du sehr verachter Bauernstand,
Bist doch der beste in dem Land.
Kein Mann dich gnugsam preisen kann,
wann er dich nur recht siehet an.

Wie stünd es jetzund um die Welt,
Hätt’ Adam nicht gebaut das Feld.
Mit Hacken nährt’ sich anfangs der,
Von dem die Fürsten kommen her.

Es ist fast alles unter dir,
Ja, was die Erd nur bringt herfür.
Wovon ernähret wird das Land,
Geht dir anfänglich durch die Hand.

Der Kaiser, den uns Gott gegeben,
Uns zu beschützen, muss doch leben
Von deiner Hand, auch der Soldat,
Der dir doch zufügt manchen Schad.

Fleisch zu der Speis ziehst auf allein,
Von dir wird auch gebaut der Wein.
Der Pflug der Erden tut so not,
Dass sie uns gibt genugsam Brot.

Die Erde wär ganz wild durchaus,
Wenn du auf ihr nicht hieltest Haus.
Ganz traurig auf der Welt es stünd,
Wenn man kein Bauersmann mehr fünd.

Drum bist du billig hoch zu ehrn,
Weil du uns alle tust ernährn.
Die Natur liebt dich selber auch.
Gott segnet deinen Bauernbrauch.

Vom bitterbösen Podagram*
Hört man nicht, dass an Bauern kam,
Das doch den Adel bringt in Not
Und manchen Reichen gar in Tod.

Der Hoffart bist du sehr befreit,
Absonderlich zu dieser Zeit,
Und dass sie auch nicht sei dein Herr,
So gibt dir Gott des Kreuzes mehr.

Ja, der Soldaten böser Brauch,
Dient gleichwohl dir zum Besten auch.
Dass Hochmut dich nicht nehme ein,
Sagt er: Dein Hab und Gut ist mein.

Bis hierhin und nicht weiter kam ich mit meinem Gesang, da wurden ich und meine Schafe plötzlich von einem Trupp Kürassiere* umringt, die sich im großen Wald erst verirrt und nachher durch meine Musik und meine Hirtenrufe wieder zurechtgefunden hatten.

Hoho, dachte ich. Was für seltsame Käuze! Das sind die vierbeinigen Schurken und Diebe, von denen dir dein Knan erzählt hat. Denn anfangs sah ich Ross und Mann (so wie einst auch die Einwohner Amerikas die spanische Kavallerie gesehen hatten) für eine einzige Kreatur an und meinte, es müssten Wölfe sein. Daher wollte ich diese schrecklichen Zentauren in die Flucht schlagen und vertreiben. Ich hatte aber zu diesem Zweck meine Sackpfeife noch kaum aufgeblasen, als mich einer von ihnen beim Kragen packte und so ungestüm auf eines der Bauernpferde schleuderte, die sie erbeutet hatten, dass ich auf der anderen Seite wieder herunter und auf meine liebe Sackpfeife fiel, die so erbärmlich zu schreien anfing, als wollte sie alle Welt zur Barmherzigkeit bewegen. Aber es half nichts. Obwohl sie ihre letzte Luft hergab, meinen Unfall zu beklagen, musste ich doch wieder aufs Pferd, egal, was meine Sackpfeife dazu sang oder sagte. Am meisten verdross mich jedoch, dass die Reiter behaupteten, ich hätte der Sackpfeife im Fallen weh getan und deshalb habe sie so ketzerlich geschrien.

So ging meine Mähre mit mir dahin, in einem stetigen Trab, als wäre sie die Ursache aller Bewegung im Universum, bis in den Hof meines Knans. Wundersame Vorstellungen stiegen mir damals ins Hirn, denn ich bildete mir ein, weil ich auf einem Tier säße, wie ich noch nie eines gesehen hatte, würde ich auch in einen solchen eisernen Kerl verwandelt.

Da aber diese Verwandlung nicht stattfand, kamen mir andere Grillen in den Kopf. Ich dachte, diese fremden Dinger wären nur dazu da, mir beim Heimtreiben der Schafe zu helfen, zumal keines von ihnen ein Schaf auffraß, sondern alle einhellig und geradewegs dem Hof meines Knans zueilten. Deshalb sah ich mich fleißig nach meinem Knan um, ob er und meine Meuder uns nicht bald entgegenkämen und willkommen hießen. Aber vergebens. Er und meine Meuder, samt unserem Ursele, welches meines Knans einzige Tochter war, hatten die Ankunft dieser Gäste nicht abwarten mögen und sich durch die Hintertür davongemacht.

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