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Das Gengenbacher "Bergle" von Joseph Göppert, Niederwasser - Badische Heimat 58, 1978 S. 211 - 224
Es ist ein merkwürdiger Buckel, das Bergle, noch etwas höher als die 75 Meter des Kirchturms, und jede Blickrichtung zeigt es in anderer Gestalt, aber die Sonne hat es gern - im Sommer flattiert sie ihm mit dem ersten Augenblick und bleibt ihm treu, bis sie jenseits der Rheinebene verschwinden muß - und die Kurgäste haben es gern und die Frommen und alle, denen der prächtige Erdenwinkel zu Füßen des Bergles ans Herz gewachsen ist. Diesen merkwürdigen Buckel kennt man im Grund nur flüchtig, und so wollen wir ihn etwas genauer anschauen, seine Lage, seine Geschichte, seine geistige Welt. Zu diesem Behelf kann man in Archiven und Büchern studieren, man kann aber als Anfänger einfach diesen Aufsatz in die frische Luft mitnehmen, aufs Bergle, und entweder den direkten, aber steilen "Stäffeleweg" wählen oder einen der geruhsamen, aber umständlichen Wege, die Mühe wird belohnt durch Landschaft und Geschichte.
I. Der Blick vom Bergle
Vis-a-vis, über dem Kinzigtal drüben, geht der "Südliche Schwarzwald" zu Ende. Er steigt vom breiten Steinfirst (602 m) über die Windeck (416 m) zum Bellenwald und dann zur Rheinebene hinab, und dort präsentiert uns bei Sicht der flache Horizont das Straßburger Münster. Elgersweier, die Hochäuser Offenburgs und das beginnende Ortenberg lenken den Blick herüber zu den Reben und zum Schloß, das freilich im Stil der letzten Jahrhundertwende prangt, als Burg der Ortenauer Vögte zeigte es sich einfacher und wehrhafter. Ab Ohlsbach ziehen lange Bergrücken nach Osten, bis sie mit ihren engen Tälern am Waldriegel der Moos anstoßen. Das Bergle selbst, Ende eines solchen Grates, in sich ein kleiner Komplex, geht mit seiner Nordseite ohne Verschnaufpause steil hinab ins Oberdorf, während sich ostwärts die sanfte Senke bis zur Eckkapelle jäh zum Rempeneck hinaufschwingt. Die Südseite neigt sich in die breite Bucht der Schneckenmatt, und der südwestlich aufsteigende Hang "Kastelberg" bietet über den Haigerach hinüber dem Kloster die "Stirn". Der Platz wird beherrscht von einem mächtigen Kreuz aus rotem Sandstein und mahnt eindringlich zum Frieden; die Eintragung der Kriegsschauplätze, an denen Gengenbacher gefallen sind, zeigt die ganze Sinnlosigkeit eines Weltkrieges.
Bahn, Kinzig und Straße ziehen die Linien des Tales nach. Wie schräg gestellte Kulissen trennen bewaldete Hänge kleine Buchten. Die breite Mündung des Harmersbaches stoppt diese Regelmäßigkeit. Seit 1950 wagt sich auch die Stadt über die Brückenhäuser hinaus ins freie Feld; ihr Südrand "erfreut" mit der Einmaligkeit eines Fabrikschornsteins. Die Industrie findet sich im Nordwesten zusammen unter Schonung des Mutterhauses der Franziskanerinnen (kleiner Kirchturm), des Krankenhauses, des Friedhofes (wuchtiger Turm der Martinskirche) und des locker bebauten Nollens. Wie auf einem Reißbrett läßt sich von oben die rings ummauerte alte Reichsstadt einsehen. Die Stadttürme, das Rathaus (freilich von rückwärts), am meisten aber die ehemalige Benediktinerabtei mit dem Geviert ihrer Bauten und ihrem herrlichen barocken Turm treten stark hervor.
Die ausgezeichnete Lage gibt dem Bergle seine Bedeutung.
II. Aus der Geschichte des Bergle und seiner Kapelle
"Kastelberg" erinnert an castellum (befestigtes Lager der Römer). Zur Planung der Römerstraße durch das Kinzigtal (Straßburg - Rottweil a. N.) gehörte auch das Bergle. Wahrscheinlich war auf dem Gipfel der Votivstein "J. O. M."(1) eines Baebius und seiner Söhne (Landesmuseum Karlsruhe); klar liegt ein Münzenfund am Südwesthang, Nähe Kindergarten. Die weite Streuung römischer Funde in Gengenbach und nächster Umgebung verhindert bis jetzt die Festlegung eines zentralen Platzes.
Gengenbach vom Berglesrain
Nach dem Sieg der Franken über die Alemannen entstand eine Martinskirche. Das Bergle taucht nicht auf.
Im Gebiet des späteren Benediktinerklosters erinnern Einzelheiten an irische Mönche, z. B. wird als erster Patron der Kapelle der den Iren vertraute Apostel Jakobus d. Ä. genannt. In köstlicher Mischung von Latein und Deutsch schreiben Urkunden 1289 und 1294 von der "capella s. Jacobi in monte Castelberg". 1681 bemühen sich Abt Placidus Thalmann und sein Prior Hieronymus Ziegler um eine Totalreparatur des Heiligtums. Nur ein Großteil der Nordwand bleibt; durch die neuen Wände entsteht ein größerer, lichterer Raum. Gleichzeitig beauftragen sie den Holzschnitzer Johannes Schupp und den Faßmaler H. C. Tober, Schwiegervater des Schupp, alles Villinger, für eine Jakobusstatue. Es wird ein wetterharter Pilger mit Hut, Muschel und Stab(2). Auch ein Bischof wird bestellt, ebenfalls bei Schupp, mit Mitra, Rochett, Pluviale und Krummstab, das Antlitz vergeistigt. Ein barocker Kupferstich der Abtei nennt ihn Apollinaris. Gemeint ist der Glaubensbote für Ravenna, gemartert um 200. Wir begegnen ihm in Sant’ Apollinare in Classe und in Sant’ Apollinare nuovo. Niederrotteil / St. Michael (Kaiserstuhl) beherbergt ebenfalls Jakobus und Apollinaris. Diese Kirche gehörte ursprünglich zur Abtei St. Gallen; irische Tradition wäre nicht ausgeschlossen. Von Patrick, dem Apostel der Iren, ginge der Weg über Germanus von Auxerre, der höchst wahrscheinlich Patricks Lehrer war(2a), nach der Kaiserstadt Ravenna, wo Germanus oft in den Sorgen Galliens vorsprach.
Gengenbach, ehemalige Abtei mit Kirchturm und "Bergle" - Foto: Joseph Göppert
Zur vollen Parallele fehlt unserem Bergle St. Michael. Wir finden ihn am gleichen Höhenzug, aber hinten im Haigeracher Tal, rechts auf einem Hügel, in der Michaelskapelle. Etwas weiter, vom jetzigen Waldparkplatz bergauf, heißt es "Im alten Gengenbach". Da treffen sich auf einer Waldwiese zwei Bächlein; das linke geht an den alten Erzgruben vorbei, und aus dieser Ecke kommen wohl Namen und Wappen Grengenbachs: der springende Salm im sprudelnden Bach unterhalb der Gänge; freilich die Stollen sind verschüttet und kein Lachs wagt sich mehr den "sauberen" Rhein herauf. Für die Bindung Michael - Iren bietet in der Ortenau das Patronat des Erzengels Michael über die Abteikirche Honau das Beispiel.
Zur Bau- und Kunstgeschichte der Jakobus- und der Hl. Grabkapelle
1520 lesen wir - ohne Abschaffung des bisherigen Titels - eine neue Bezeichnung: "kirch uff dem berg ... die sant Einbettenberg genannt wird". Mit Einbeth allein läßt sich wenig anfangen, aber "Einbeth, Warbeth, Wilbeth" kann für konstruktive Phantasie gefährlich werden. Gewiß kannten die Germanen drei Nornen, die Kelten drei Schicksalsfrauen, die Griechen drei Parzen, die Römer drei "matronae", aber um das geht es hier nicht, auch nicht: um die drei Märtyrerinnen Fides, Spes, Caritas (Kloster Eschau), sondern um drei in Straßburg beigesetzte Jungfrauen (Kirche Alt-Sankt-Peter). Die Verehrung der heiligen Einbeth greift weit um sich (u. a. Schweiz, Niederrhein, Bayern, Südtirol), aber nie und nirgends bestritt man der Straßburger Kirche das Grab dieser Heiligen(3). Vielleicht standen sie in Kontakt mit der Hl. Aurelia, der in frühmerowingischer Zeit in Straßburg eine kleine Kirche geweiht war, aber nicht mit Ursula(4). Des Merkens wert ist, daß es wohl den Einbethenberg gibt, aber nicht Einbeth als Patronin. Einmal hat es zwar den Anschein eines Patronates, 1681, als Abt Placidus von der Kapelle "der hl. Jungfrau Einbeth und der Märtyrerinnen Perpetua und Felizitas" schreibt. Daß es nicht als Patronat gemeint war, zeigt das damals bestellte Altarbild: Oben Dreifaltigkeit, darunter rechts Perpetua und ihr Sohn, links Felizitias und ihr neugeborenes, fest eingewickeltes Kind, dazwischen Bergle und Abtei im Zustand von 1681, aber nichts von Einbeth. Die großen zeitlichen Lücken der Einbethverehrung in Gengenbach erklären sich aus dem Kontakt der Abtei mit Straßburg, besonders ab 1438 nach dem Erwerb eines Klosterhofes in der Straßburger Kalbsgasse; z. B. um 1500 zeichnete die Stadt Straßburg Wunder der heiligen Jungfrauen auf(5), Gengenbach nennt Einbeth 1520; 1646 belebt eine Übertragung der Reliquien die Verehrung in Straßburg, in Gengenbach 1681.
Perpetua und Felizitas haben am 7. März 203 als Mütter ihr Martyrium erlitten(6). Der Bericht darüber gilt als zuverlässig. Die beiden Blutzeuginnen gaben weder dem Berg noch der Kapelle je ihren Namen. Junge Mütter liebten das Altarbild, vor allem die zwei Kinder, obschon der Martyriumsbericht erwähnt, die Kinder seien durch Angehörige und Bekannte gut versorgt worden.
Von der hl. Einbeth beherbergt das Bergle keine Statue und kein Gemälde. Zu den aus Holz geschnitzten Werken der Barockzeit gehören noch: der hl. Joseph mit Jesuskind, der am besten zum kräftigen Berglewind paßt; er steht fest im Sturm. Antonius von Padua gehört ganz dem Heiligen Kind, das er tragen darf. Ein Werk Schupps? Barock ist auch das Kreuz im Chorbogen und - später - das Kreuz im Gebälk der Vorhalle, noch barock; vielleicht Winterhalter?(6a)
19 Jahre nach der Erwähnung von Einbeth datiert ein Stein in der Nordmauer. 1539 liegt aber in der Zeit der Straßburger Bemühungen, Gengenbach protestantisch zu machen, liegt in der Nähe des Katechismus der Gengenbacher Prädikanten und liegt in der Zeit größten Niedergangs der Abtei: Arbeit am Bergle im Jahre 1539 bleibt Rätsel.
1717(7) ließ Pater Prior Cölestin Weipert, Verwalter der Berglekapelle, am Weg vom Oberdorf herauf die Stationen der "Sieben Schmerzen" errichten. Mitten zwischen ihnen, am Sattel, der Oberdorf und Schneckenmatt trennt, steht die Eckkapelle mit dem Kreuz und dem hl. Dominikus. Als Abschluß des Stationenweges, nördlich der Kirche, lädt eine winzige, jetzt demolierte Kapelle ein: im Vorraum ein Ölbild der Kreuzigung (zerstört) und links hinter einem ganz niedrigen Zugang das Heilige Grab, darin die holzgeschnitzte Figur des Heilands, an der Wand gemalte Engel mit Spruchband, das Ganze beleuchtet durch das rote Glas oben in einer Rundöffnung der Westwand.
Selbstverständlich kommt das Bergle nicht unberührt durch die Spannungen zwischen Kloster und Stadt. Es findet sich freilich auch mancher Anlaß zum Schmunzeln. So erfahren wir vom guten Pater Coelestin, der einen "Wald Bruder" oben anstellen will, aus "der Reichs Statt Gengenbach Raths Protokoll ab dato 22. May 1719": "Weillen Herr P. Prior ein friedliebend mann und die Wahlfahrt in besten Ruhm zu bringen suchet", wird ihm der Wald Bruder genehmigt, so lang dieser sich wohl hält. "In praesentia Herrn R. Schultheißen" soll er die Verhaltensvorschriften erfahren, "insonderheit daß er keinen Einzigen Menschen bey sich beherbergen solle, widerig fahls alle tag feuerabend sein solle."
Daß 1747 eine Außenkanzel angebracht wird, läßt sich ungezwungen als Zeichen verstehen, daß die Wallfahrt blühte. Dabei dürfen wir nicht vergessen: das Bergle war nicht die einzige Wallfahrt der Abtei Gengenbach. Ihre Sorge galt genau so der großen Wallfahrt "Maria zu den Ketten" in Unterharmersbach an der Grenze zu Zell a. H., heute noch lebendig. Dann gibt es wieder Gezänk, vor allem wegen des "Warthers und Meßners" in der "Capella Mariana Montana" (so die Stadt am 7. III. 1768 an den Straßburger Weihbischof). Zehn Tage später schreibt es der Abt in schlichteren Worten: "unsere lieben Frauen Capell auf dem Bergle genannt". Auch wenn die Reichsstadt ein deutsches Konzept aufsetzt, weil sich das Kloster nicht genügend um die Gottesdienste auf dem Bergle sorge, wird es kompliziertes Deutsch: "Die Liebfrauen Wahlfahrt das Berglein auf dem ehedessen sogenannten Einbethenberg ligt ohndisputierlich in der Reichs Statt gengenbachischer Jurisdiction, jedoch disputierlich ob der Platz und berg allmend oder des Closters Gengenbach aigenthum seye."
Wie die Wirklichkeit aussah für das Bergle vor und nach der Aufhebung des Klosters, zeigen die in den Verkündbüchern angesagten Gottesdienste. Davon Stichproben: 18. Jahrhundert und bis 1808 einschließlich lesen wir regelmäßig für die Woche nach dem Passionssonntag: "Am Freytage gehen wir um 8 Uhr mit der Procession auf das Bergle". Einmal dazu der Hinweis: "man wird sowohl dort wie auch in der Pfarrkirche schon früher beichten können". Ab 1809 kommt nichts mehr vom Bergle. Dann tauchen wieder Messen auf dem Bergle auf - an beliebigen Tagen. 1860 am Schmerzensfreitag "H. Meß auf dem Bergle für Paul Harter von Bermersbach". 1862 sind am Montag, Donnerstag und Freitag der Passionswoche Berglemessen, 1877 und 1878 in dieser Woche keine einzige Messe, wohl aber gelegentlich während des Sommers. Der vorgefundene Sachverhalt: ab 1809 gibt es für die Gottesdienste auf dem Bergle keine feste Regel mehr; 1877 und 1878 lassen sich erklären durch die Arbeiten für die 1874 begonnene Auffrischung der Kapelle; Gottesdienste waren möglich bei größeren Arbeitspausen. 1874 beginnt Zimmermeister K. Weber mit einem neuen Dielenboden für die Kapellenbühne, dann kommen Reparaturen. 1879 erhält Bildhauer Albert Schultze, Schwetzingerstr. 3, Mannheim, den Auftrag, einen neuen Altar für die Jakobskapelle zu schnitzen. 1880 werden die Arbeiten für die (gewesene) Vorhalle vergeben, ebenso die Arbeiten zur Außenrenovation. Im neuen Gebälk der Vorhalle wird ein sicher dem vorhergehenden Jahrhundert entstammender Kruzifixus angebracht (vgl.(6a)).
Kapelle mit Hl. Grab (neben der "Berglekapelle")
Diese Erneuerung brachte den Gengenbachern zwei Kümmernisse:
1. Die Fenster. Das Erzb. Bauamt wehrt sich dagegen, daß man "kaum im Gebetbuch lesen kann". Es sei "starke Übertreibung". Bauinspektor Williard sah als seine Aufgabe, "im Contrast mit einer überaus glänzenden, prachtvollen Natur ein stimmungsvolles, Sammlung und Andacht förderndes Innere zu schaften", Das Licht müsse sich auf den neuen, "in besten Renaissance-Formen gehaltenen Altar" beziehen.
"Der Chor ist von den mit blanken Butzenscheiben verglasten Fenstern mit ungebrochenem hellem Licht übergossen; im Gegensatz hierzu verbreiten die mit kräftigen farbigen Cathedralglasteppichen geschlossenen Langhausfenster jenes milde angenehme Dämmerlicht, welches dem beschaulich Insichversenken des Gebets so förderlich ist. Rein physisch betrachtet, wird das ausgeruhte Auge die Capelle mit neugestärkter Empfänglichkeit für die Reize der umliegenden herrlichen Landschaft verlassen". Als "Einwohner von Gengenbach" sind eigens die Gemeinderäte genannt. Das Nein zu den Fenstern saß derart tief in der herrschenden Schicht, daß - nach der auch nicht geraden hellen Rückführung der Abteikirche aus dem Barock in die Romanik unter Stadtpfarrer Theodor Burger - in einer der ersten Sitzungen des Stiftungsrates unter Stadtpfarrer Ignaz Bloeder für das Bergle die Einsetzung heller Fenster im Langhaus am 6.10.1915 beschlossen wurde.
2. Das Altarbild. Am 21.5.1880 richtet der Gemeinderat eine Beschwerde an den katholischen Oberstiftungsrat mit dem Hauptpunkt: Langweilerei des Erzb. Bauamtes. Am 5.8.1881 richten auch Stadtpfarrer Schuler und die Stiftungs Commission Beschwerde und Bitte an die gleiche Adresse. Zum "fünften Male" ergeht vom Oberstiftungsrat am 30.8.1881 ein Schreiben an das Bauamt mit Erwartung, daß "binnen längstens 10 Tagen" die Sache erledigt sei. Die Antwort Willards datiert vom 10.9.1831. Es scheint, daß jetzt auch die Fassung des Altares durch Dekorationsmaler E. Schwarzmann, Karlsruhe, in Gang kommt. Am 30.12.1881 wird ihm der vereinbarte Lohn angewiesen. Die Sorge um ein neues Altarbild geht inzwischen einen aus den Akten nicht ganz ersichtlichen Weg. Am 24.1.1881 schreibt Pfarrer Schuler dem Erzb. Bauamt, Professor Götz in Karlsruhe sei nach Mitteilung von Frau Manz bereit, unentgeltlich die Herstellung eines Altarbildes für die Berglekapelle zu übernehmen, um seinem Heimatort ein Andenken zu widmen. Schuler ist damit einverstanden. Er regt an, das Bauamt möge mit Professor Götz Rücksprache nehmen. Als Gegenstand des Bildes schlägt er den Kirchenpatron, den hl. Jakobus den Älteren, vor. Am 30.1.1881 gibt Pfarrer Schuler an Prof. Götz seiner Freude Ausdruck über dessen Bereitwilligkeit, dankt, teilt mit, daß Inspektor Williard vom Bauamt gern mit ihm ins Einvernehmen treten wolle, und daß der Apostel Jakobus Kirchenpatron sei.
Das Altarbild wird dann jahrelang nicht mehr erwähnt. Pfarrer Schuler erkrankt und stirbt (1887). Pfarrverweser wird der Vikar, dann Benefiziat in Gengenbach, Engelbert Jung. Pfarrer Schuler hat ihn mit der Renovation des Frauenchörles beauftragt (Nordseite der ehemaligen Abteikirche). Die Sammlung für diese Aufgabe kommt nicht recht in Schwung. Jung begründet: a) die schlechten Erträge der Jahre 1887 und 1888; b) Mißtrauen der Leute infolge der "unglücklichen Restauration der Jakobskapelle auf dem Bergle", sie "wollten zuerst etwas Rechtes sehen, bevor sie in die Tasche griffen".
Als Berater nennt er "Canonikus Straub in Straßburg" und "Direktor Götz in Karlsruhe", Den Auftrag erhält "Maler und Bildhauer Simmler"(8). Jung hat sicher vom Vorschlag des Herrn Götz fürs Bergle gewußt, aber er schweigt. Schon am 4.9.1811 hat ein Johann Bapt. Mayer in einem Brief an den Herrn "Oberamtrath" zu Gengenbach die Anregung gegeben, ein Inventar der Jakobskapellen-Stiftung anzulegen. 1825 bis 1845 gibt es so etwas, aber weder Altarbild noch Muttergottes sind darin aufgeführt, wohl aber "Muttergotteskleider", i. G. neun, z. T. kostbar und mit Schleier. Geht es um die Pietà, dann mag sie etwa wie das Gnadenbild zu Todtmoos i. Schw. oder zu Marienthal i. E. ausgesehen haben. Freilich wäre auch eine stehende Maria mit Jesuskind oder eine Immakulata denkbar, wir erfahren aber nichts. Wahrscheinlich hat von 1881 an der neue, schöne, aber leere Rahmen den Altar geschmückt, vorher das Bild von 1681.
Vermutlich stammt aus dem Ende des 19. Jahrhunderts die aufrecht stehende Mutter Anna, Maria auf dem Arm, mit dem religiös erziehenden Fingerzeig und der eigenartigen Kopfbedeckung. Gearbeitet nach einem Nazarener Vorbild? Von einem Grödnertäler Schnitzer? Moroder? Eine Stiftung Stadtpfarrer Burgers liegt nahe: am 11. März 1895 starb seine Schwester Anna Burger.
Ein Datum der Einsetzung des neuen Altarbildes (Direktor Götz, Karlsruhe) konnte nicht gefunden werden. Später als 1900 kann es nicht gewesen sein.
Manchen Älteren wird noch in Erinnerung sein, wie die Kapelle ab 1901 geordnet war: am Altar das Madonnenbild von Götz (Maria mit dem erhobenen Jesuskind, inmitten eines Lilienfeldes und vor einem jungen lichten Wald mit leichtem Morgen- oder Abendrot im Himmel), links Apostel Jakobus, rechts Bischof Apollinaris. Am Chorbogen rechts St. Joseph und in einer Nische (Südwand) der hl. Antonius; am Chorbogen links die hl. Anna, daneben (Nordwand), etwas über Augenhöhe vor einem mit Renaissanceornament schlicht dekorierten Brett die Schmerzensmutter. Von der ersten oder zweiten Bank her konnte man gut mit dem Bild reden.
Am 9. Mai 1908 schreibt Geistl. Rat Stadtpfarrer Theodor Burger ein Gesuch an das Erzb. Ordinariat Freiburg um Erlaubnis, seiner Pfarrgemeinde als Andenken sieben Stationen zu den sieben Schmerzen Mariä zu widmen. Die Ausgabe von etwa 4.000 Mark wolle er aus eigenen Mitteln stiften. Er hält den Weg vom Oberdorf zum Bergle für außerordentlich geeignet, da er frei ist von Fuhrwerken, nicht sehr begangen, und so könne mancher, der sich vor seinen Mitmenschen scheut, ein Kreuzzeichen zu machen, auf diesem abgelegenen Weg neu beginnen. Die Genehmigung traf am 21. Mai 1908 ein. Die Ausführung der Reliefs übernahmen die Gebrüder Moroder (Firma Simmler) Offenburg, jedes 75 cm hoch, 54 cm breit und 10 cm tief, aus weißem Sandstein. Den roten Sandstein, der in einer Nische das Relief aufnahm, lieferte Steinhauermeister Carl Glauner in Gengenbach. Der frühere Gengenbacher Vikar, jetzt Superior Msgre und Päpstlicher Ehrenkämmerer Karl Mayer in Freiburg hielt am Sonntag, 4. Oktober 1908, die Einweihung mit Festpredigt.
Am vorausgehenden Freitag schrieb der "Kinzigbote": "Die Pfarrgemeinde wird ihrem trotz der Fülle der Jahre noch unermüdlichen Pfarrer, der zudem sämtliche Kosten aus eigenen Mitteln bestritten hat, gewiß warmen Dank wissen und diesen Dank am besten durch fleißigen Besuch der Stationen zur eigenen Erbauung praktisch betätigen".
Joseph mit Jesuskind. Gengenbach, Bergle. - Foto-Weltz
Pfarrverweser Wintermantel und anschließend Stadtpfarrer Ignaz Bloeder mühten sich, die Stationen schön zu erhalten. Daß gegenwärtig, wo Gewalttätigkeit gilt, die Stationen am Bergleweg völlig unberührt bleiben, dürfen wir nicht erwarten. Die Schäden sind aber nicht so, daß man den Stationsweg nicht mehr beten könnte. Der Weg selber ist momentan ein echter Bußweg, gar nicht geeignet für kontemplative, in sich versunkene Seelen.
Nach Anbringung der hellen Fenster, bereitete immer noch das Altarbild von 1900 Kummer. Die gute und leicht verständliche Malerei begeisterte viele; vielen aber ging es gar nicht ein, daß die Mutter, die ein so wunderschönes Kind trägt, verschämt auf den Boden schaut; sie meinten, das Bild wäre "gestellt". 1953 holte man wieder das Altarbild von 1681. Der Rahmen von 1880 war viel zu hoch, den Zwischenraum schalte man mit Brettern zu und stellte die schmerzhafte Muttergottes davor. Das unausgeglichene dieser Lösung leuchtete ein. Ebenfalls 1953 schuf Ruth Schaumann, München, für das Gengenbacher Bergle Tafelbilder der acht Seligkeiten, nach Matthäus 5. Den Auftrag zu dieser Bergpredigt gab Frau Ch.-Fr. Vorbeck, um eine Anregung ihrer verstorbenen Mutter Frau Franziska Vorbeck zu verwirklichen, eine Hilfe für das von Ruth Schaumann betreute Kinderheim. Die Bilder wurden an den Wänden des Langhauses aufgehängt.
Stadtpfarrer Helmut Eberwein gab 1969 / 71 dem Bergle neue Pracht. Die Außenrenovation beseitigte vor allem den fremdartigen Staffelgiebel und änderte die Vorhalle auf der Westseite. Ein bisher an Fronleichnam gebrauchter barocker Altartisch mit sehr schönem Aufsatz, in dessen Mitte eine Nische für die Pietà das rechte Maß hat, wurde auf aparten Glanz gebracht. Hier befindet sie sich jetzt vor einem modernen Strahlenkranz. Ruth Schaumanns acht Tafelbilder wurden im Halbkreis um den Altar gestellt, rechts etwas verdeckt durch die hl. Anna auf hohem Postament. Die Tafeln sind nicht sehr groß, deshalb erschwert die durch eine kräftige Kordel gebotene Distanz des Beschauers von den Bildern das Erkennen des Dargestellten. An der Wand des Chorbogens sehen wir rechts den hl. Apollonaris, links den hl. Jakobus, in einer Nische der Südwand den hl. Joseph. Oben im Scheitel des Bogens ein Kruzifix und das Wappen des Abtes Placidus mit dem Hinweis auf die Renovation von 1681.
Wahrscheinlich wären zu Lebzeiten unseres lieben Franz Engesser noch einige Dinge fester fundiert worden als bei diesen Versuchen eines Pfadfinders im Pfarrarchiv.
III. Die religiöse Welt der Berglekapelle
Als ersten Namen, den die Kapelle und die ganze Anhöhe trägt, erfuhren wir Jakobus. Es geht um den Jacobus, zu dessen Grab eine der großen Wallfahrten des Mittelalters führte. Gengenbach liegt aber nicht an einer dieser Wallfahrtsstraßen. Es muß also das Wesen des Jakobus sein, was hier angezogen hat: der Wanderer, der Pilger. Die frühesten Boten, die Iren, hatten eine intensive Neigung zum Wandern und zum Apostel, der als Zeichen seines Wanderns über die Meere die Muschel trug. Es waren wohl nicht die Bergwerkler und Bauern im "alten Gengenbach", die gerne gewandert wären, es waren die Bringer der christlichen Botschaft. Merkwürdig ist, daß man diesen Heiligen an solch weithin sichtbarer Stelle geehrt hat: ein Licht auf dem Leuchter; und daß man ihm als zweiten den Apollinaris an die Seite gab, wiederum einen Glaubensboten, um den die Iren von früh an wußten.
Was wir Handfestes vom christlichen Bergle wissen, führt weit zurück. Vorher gibt es einige solide Spuren der Römer, während wir die Kelten auf dem Bergle nur mit Genehmigung dichterischer Phantasie vorfinden.
Auf dem gleichen Breitengrad wie Gengenbach ragt am Westhang des Rheingrabens 500 m über die Talsohle ein "Berg der Zuflucht", der ein wuchtiges Zeugnis aus vorchristlicher, ja vorrömischer Zeit zeigt, die "Heidenmauer", die in 10 km Länge mit gewaltigen Steinblöcken eine Fläche von 100 Hektar gegen anstürmende Feinde zu schützen vermochte. "Berg der Zuflucht"! Dann "Hohenburg", die Burg der Herzöge des Elsaß! Heute: "Odilienberg"! Durch ihr Leben, ihr Leiden, ihre Klostergründung mit dem "immerwährenden Gotteslob" und durch ihre große Sorge um leibliches wie seelisches Leid schuf Odilia in tieferem Sinn einen Berg der Zuflucht. Es dauerte über 700 Jahre, bis Verwirrung das Klosterleben still legte. Prämonstratenser hielten durch bis zur Französischen Revolution. Dann wurde das Heiligtum reihum verschachert. 1853 legten Männer des Elsaß ihrem Bischof den Kaufpreis auf den Tisch. 1932 kam nochmals eine Verinnerlichung: Der Bischof und die Männer beschlossen - vor schicksalschweren Jahren - für diesen Berg die stete Anbetung des Allerheiligsten seitens der Männer.
Die Schicksale des Odilienberges stehen als gewaltiges Fresko vor uns. Ihm gegenüber ist das Berg"le" berechtigt. Obschon wir da ebenfalls ein schmerzliches Auf und Ab erfahren, so bleibt es doch "en miniature".
Der Odilienberg kennt auch den Heiligen Jakobus, "Saint-Jacques", etwas oberhalb Niedermünster, am Osthang. Die Überlieferung bringt Karl den Großen damit in Verbindung und das Kreuz, das in der Krypta von Niedermünster aufbewahrt wurde.
Der Mensch in seinem Unterwegs, der "Homo viator" steht über der Frühzeit von Berg und Bergle. Gleichzeitig auch: Berg der Zuflucht. Die heilige Einbetha von Straßburg und die Märtyrerinnen Perpetua und Felizitas, die Jungfrau und die Mütter, voll aus dem Glauben lebend, gaben dem geistlichen Bild einen lebensnahen Zug.
Im Unsicheren bleibt das Hereinkommen der Schmerzensmutter in die Berglekapelle. Am Beginn hören wir nichts von Maria. Das Gnadenbild selbst ist gotisch. Aber die Überlieferung schweigt von einer "Bergle-Muttergottes". Festes erfahren wir erst 1681 / 82, als im Anschluß an die Renovierung unter Abt Placidus ein kaiserlicher Notar, Georg Friderich Dornblüeth, den Berglemesner Hans Adam Häfner, 67 Jahre alt, seit 40 Jahren "Mösner", in Anwesenheit des Reichsschultheißen Johann Bender vernimmt, was er wisse von wunderbaren Gebetserhörungen.
Jakobus, Gengenbach, Bergle - Foto-Weltz
Das Protokoll stammt vom 24. VIII. 1682. Da ist die Begebenheit von einem "lutterischen Schmidt" und seinem 9 bis 10 Jahre alten "Meidlin" das "weder stehen noch gehen könne", das "ihm schon etlichmahl gesagt, wenn es in dem Kirchlin auf dem Berg währe", würde es gesund werden. Häfner habe ihm geraten, daß er einer armen Frau ein Trinkgeld versprechen und ihr das Kind zum Hinauftragen geben solle. Der Vater folgte dem Rat. Bei dem Mittagsmahl ... sei der Vater hereingekommen: " ... da seht, ihr Herren, das ist moi Kindt, so noch heut vormittag weder stehen noch gehen können, jetzt kann es gehen, wohin es will".
Kreuz der ehemaligen Vorhalle
Wir finden eine Erzählung von einem "Priester aus dem Schweitzerland", und von der Elisabetha Emmelin und ihrer 1 1/2 Jahre alten "Maria Cleophi" und von Margaretha, der ehelichen Hausfrau Georg Syberts im Rauhkasten, ihrem Sohn Lorentz und seinem Großvater Michell Wußler.
Der Bericht, den Johann Sennerich (Name schwer lesbar!) gab, sei hier wiedergegeben:
"Als er im verwichenen schwedischen Krieg auf und davon nach Haus gehen wollte, sei eine Partie von Soldaten ihm begegnet. Denen zu entfliehen, habe er sich in das Kirchlin aufm Berglin retiriert und sey gantz in das Thürmlin hinauf über die Klöckglin gestiegen ... Die Soldaten seyen gleich ihm nach auf das Kirchlin gekommen, darinnen ein Wachtfeuer angezündet und darumbher gesessen, haben auch außerhalb des Kirchlins Schiltwacht gehalten; da sey er in augenscheinlicher Leib- und Lebens-Gefahr gewesen, denn so er sich hätte sehen lassen, würden sy ihn umb etwaß von ihm zu erfahren oder zu bekommen, sehr übel tractirt und wohl gar ums Leben gebracht haben. Wäre er aber sitzen geblieben und sy die Klöckhlin hätten leuthen wollen, hätten sy ihn, weil er gantz in der enge und auf den jochen der glöckhlin gesessen, wo er sich nirgents hin hat regen können, vertruckht. In solcher Angst undt Gefahr habe er sein Zuflucht zu Gott undt siner lieben Mutter Maria genohmen, sy umb assistentz angerufen, undt ein opfer in dises Kirchlin abzulegen versprochen. Über dises hin sey die forcht zimblich bey ihm verschwunden, undt habe er sich gantz still von dem thürmlin herunder begeben auf die Kirchenbühne, die Schueh ausgezogen, heimblich die stegen herunder geschlichen undt neben dem wachtfeur undt den soldaten vorbey, zum Kirchlin hinauß gesprungen. Vor dem Kirchlin draußen habe ihn gleich ein schiltwacht zu pferd angeschrauwen, undt als er kein andtworth gegeben ihme nachgeeihlt. Er habe aber bald das gestrüpp erreicht, durch welches die reutterwacht ihm nicht nachfolgen können, daß er also ihnen unverhofter weiß entkhommen undt sich durch den Wald glücklich salvirt habe".
In der Mitte des nächsten Jahrhunderts spricht - wie wenn es immer so gewesen wäre - die Stadt von der "Capella Mariana Montana" und der Abt von "Unserer Lieben Frauen Capell auf dem Bergle". Es fehlt aber der Hinweis auf die Pietà. Daß es sich um die Schmerzensmutter handelt, zumindest "auch" (falls ein zweites Marienbild anzunehmen wäre, vgl. Marienthal im Elsaß), erfahren wir durch die Gottesdienste: Prozession aufs Bergle und dort hl. Messe am Schmerzensfreitag!
Das erste große Zeichen der besonderen Liebe zur Mutter des Herrn unter dem Kreuz stellt für die Gesamtkirche das "Stabat mater" ("Christi Mutter stand mit Schmerzen ... ") dar, wahrscheinlich von dem Juristen, dann Franziskanerbruder Jacopone da Todi, gestorben 1306. Sehr früh nahm die Mystik das Mitgehen mit der schmerzhaften Mutter intensiv auf, auch am Oberrhein. Bestimmt ging es dem Schnitzer des Berglebildes weder um klassische Schönheit noch um Verzerrung im Schmerz, sondern wohl einzig um die schmerzvolle Zwiesprache, ja Einheit in der Hingabe des Sohnes und seiner Mutter. Unser Bild will nicht repräsentieren, sondern helfen, daß wir hineinfinden in ihr "Ja", - unabhängig davon, wie die frühere Fassung unserer Pietà aussah.
Nicht eigentlich Bedenken, aber eine leise Frage bringt das Frauenchörle: das Heilige Grab zeigt am rechten Eckpfeiler den Stifter, Abt Konrad von Müllheim, - kniend als Beter, Relief, zur Ostwand der Kapelle gerichtet. Auf was hin ist er ausgerichtet? In der Barockzeit wohl auf das große, an Form und Format dem Bild im Josephschörle entsprechende Gemälde der Beweinung (jetzt im Kirchturm). 1888 kam an dessen Stelle die neugotische Stiftung der Brüder Oreans mit der Pietà von Simmler. Aber vor dem Barock? Die Schmerzensmutter vom Bergle, sicher älter als das Hl. Grab!, an der Ostwand, über dem Altar? Dann wäre die Bezeichnung Frauenchörle (Frau = Liebe Fraue = Maria) begründet und stünde in sinnvollem Zusammenhang mit dem Hl. Grab.
Von dem Erneuerer der Kapelle, dem Abt Placidus, 1681, wissen wir, daß er mit aller Kraft die Verehrung des Erlöserleidens zu fördern suchte. Zu diesem Ziel gründete er eigens eine Bruderschaft. Die Schmerzensmutter als Mitte der Wallfahrt aufs Bergle würde sich vollkommen in seine geistige Welt einfügen, die viel Verwandtes mit der damals neu aufblühenden Liebe zum durchbohrten Herzen des Herrn aufweist. Das Kreuz in der Vorhalle mit den steil erhobenen Armen(9) und dem ergreifenden Antlitz erinnert an das Antlitz des großen Kruzifixus oberhalb der Martinskirche (nur sind die Arme waagrecht), ein Anstoß in der Richtung der Bruderschaft! (Vgl. Anm. 6a)
Solche Überlegungen um die Andacht zum Erlöserleiden in Verbindung mit der Andacht zur Schmerzensmutter finden einen starken Ausdruck im Stationsweg des Paters Cölestin, der auf das Bergle hinaufführte, 1717. Vom Aussehen und vom Fertiger der einzelnen Haltepunkte wissen wir nichts. Das Ganze scheint sowohl äußerlich wie auch in der Erinnerung untergegangen gewesen zu sein, denn der große Schaffer Pfarrer Theodor Burger erwähnt gar nichts, daß es schon einmal so etwas gegeben habe; ihm ist es seine eigenste Idee und seine Sehnsucht, seine Pfarrgemeinde an die Schmerzensmutter zu binden, und er vertraut, es werde seiner Gemeinde eine "Herzensfreude" werden, so wie er es als seinen "Herzenswunsch" bezeichnet.
Die Berglemesse in der Frühe eines jeden Montags gehörte noch weit in das 20. Jh. hinein zu den Selbstverständlichkeiten des Gengenbacher Sommers. Während des Zweiten Weltkrieges wurde Tag um Tag um 12.30 Uhr bei der Schmerzensmutter der Rosenkranz gebetet; die Franziskanerinnen gelobten, wenn ihr Mutterhaus gut durch den Krieg komme, am Fest der sieben Schmerzen Mariae (15.9.) jeweils auf dem Bergle die hl. Messe mitzufeiern, - bis heute eingehalten. Auch an manchen Freitagen finden Gottesdienste statt. Der Mittwoch gehörte eine Zeit hindurch der Eucharistiefeier der Akademie. Neu ist die Hervorhebung des Annafestes durch Eucharistiefeier auf dem Bergle; damit mag auch die imponierende Aufstellung ihrer Statue zusammenhängen.
Antlitz Jesu am Kreuz der ehemaligen Vorhalle
Vom Wort Gottes her orientiertes Leben - auf dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und des fortdauernden grauenhaften Terrors - ist der letzte geistliche Zuwachs in der Berglekapelle: das Werk Ruth Schaumanns. Es wird durch den Goldgrund dem nur-natürlichen Bereich entzogen. Wie die Bilder sprechen, erhellen und trösten, geht dem auf, der sich zum Betrachten Zeit läßt. Wir bieten kurze Lesehilfen, aber nicht Ersatz für das eigene Nachdenken.
I. Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.
Mit durchbohrten Händen lädt Jesus ein. Er weist aufwärts. Ihm zu Füßen kauert ein Kind, bei dem an den Dornen zwei Rosen erblühen. Die Knienden haben leere Hände; in die Schale des Stehenden fallen Tropfen. Von Christus kommt der Heilige Geist, der Vater der Armen.
II. Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.
Die heimkehrenden Kundschafter tragen den Reichtum des Landes Kanaan. Im Gebirge bewegt sich eine mächtige Streitmacht, doch über der Ruhe des Vordergrundes schwebt der Engel des Friedens.
III. Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.
Zwei Frauen, eine mit Salbgefäß, suchen am Friedhof vorbei den Toten. Der Engel vor der dunklen Höhle: "Jesus lebt!" Das gilt der Sehnsucht der Knienden, der verhärmten Mutter wie dem vertrauenden Kind, dem Griff der jungen Frau zum brechenden Herzen und gilt dem helfenden Hirten.
Pietà, Gengenbach, Bergle - Foto-Weltz
IV. Selig sind, die Hunger und Durst haben nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden.
Über der Stadt Gewitter und Blitz. Durchbohrte Hände halten Waage und Schwert. Irdische Gerechtigkeit?? Das klare Antlitz und die gebundenen Hände des Mädchens, die kniende Witwe, ihr Kind, der an Fuß, Hand und Haupt Verwundete, das entsetzte Mädchen, das Kind mit der Rute, der erbitterte Mann, der Häftling, der Kette und Kugel schleppt, die dunkle Murter: sie hungern nach Gerechtigkeit.
V. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Vom Kreuz geht der Strahl auf den Dienst der Barmherzigkeit am Bettler, an den Vögeln, am Blinden, am Kind der jungen Mutter, an den Kranken in dem am Kreuz befestigten Zelt: " ... mir getan".
VI. Selig die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.
Um das Licht des Kindes in der Krippe zu erleben, entscheidet nicht, ob jemand alt, ob im Schwung der Kraft, ob bereit zum gemeinsamen Weg oder ob einsam dienend, ob im Kreis der Geschwister helfend oder ob beschaulich lebend; es entscheidet die unvermischte Klarheit des Innersten, des Herzens, des Gewissens.
VII. Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.
Links rostet Kriegsgerät. Das Lamm mit der Siegesfahne - auf dem Felsen - zieht alle an: die zaghafte Mutter und ihr Kind mit dem friedlichen Spielzeug, das Ehepaar, den Jungen, der die Schale an die Felsenquelle hält, den dankbaren Greis, den zum Lamm hin offenen Mönch und die aus der Ferne schauenden Menschen.
VII. Selig sind die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich.
Sie sind ausgerichtet auf den mit Dornenkrone, Mantel und Schilfrohr Verspotteten: die "Magd des Herrn", der Gefesselte, die Frau in den Flammen - alle drei durch das Schwert verbunden -, dann der Mann mit den Ketten, die Frau zwischen Dornen, von deren Hals ein Strang aufwärts geht; der Mann mit dem Dornenkranz ums Haupt, mit Pfeilen, Rute, Geißeln, dessen Fuß auf der gefährlich sich aufrichtenden Schlange steht, - und all dies vor dem ins Grenzenlose führenden Hintergrund.
Vieles - in den Seligpreisungen und in den Bildern - erinnert an die Strophe im Sonnengesang des heiligen Franz von Assisi (gest. 1226):
"Gepriesen seist du, mein Herr, um derentwillen, die verzeihen aus Liebe zu Dir und Schwachheit ertragen und Trübsal. Selig, die dulden im Frieden, denn Du, o Höchster, wirst sie einst krönen".
Anmerkungen:
1.) Jovi Omnipotenti Maximo: Jupiter, dem allgewaltigen und höchsten Gott (geweiht). Vgl. Kunstdenkmäler des Großherzogtums Baden, VII. Band Kreis Offenburg 1908, S. 349. ▲
2.) Herzlichen Dank für den Hinweis des Herrn Rektor H. Brommer, Merdingen, auf die Villinger Verwandtschaft. ▲
2a.) Patrick, Confessio Nr. 9: Die Schilderung der "anderen" paßt ausgezeichnet auf Germanus v. Auxerre. Vgl. Frühes Mönchtum im Abendland Bd. II, S. 53 - 96: Constantius von Lyon, Das Leben des Germanus von Auxerre; übersetzt und erklärt von Karl Suso Frank 1975. ▲
3.) Archiv für elsässische Kirchen-Geschichte, 12. Jg., 1936: Medard Barth, Der Kult der hl. drei Straßburger Jungfrauen Einbeth, Worbeth und Vilbeth, S. 57 - 106. Die umfassende Arbeit läßt sich nicht ersetzen. ▲
4.) Luzian Pfleger, Kirchengeschichte der Stadt Straßburg im Mittelalter. 1941 S. 15. - Barth a. a. O. S. 69. ▲
5.) Barth a. a. O. S. 70 nach dem Straßburger Stadtarchiv. ▲
6.) Albert Ehrhard, Die Kirche der Märtyrer, 1932, S. 49 f. ▲
6a.) Obwohl in Schädelform und Körperbau anders, erinnert das jetzt vom Pfarramt Gengenbach verwahrte Kreuz in der Intensität des Ausdruckes und in der Art des Schnitzens an den aus Stein gehauenen Kruzifixus in der Grabkapelle der Familie v. Bender oberhalb der Martinskirche. ▲
7.) Kunstdenkmäler VII S. 427. ▲
8.) Von dieser Firma stammt der neugotische Altar und seine Pietà im Frauenchörle der jetzigen Pfarrkirche. Nachfolger: Gebrüder Moroder aus dem Grödnertal. ▲
9.) Peter Paul Rubens, Der Münchener Kruzifixus, Stuttgart 1967. Einführung von Erich Hubala (= Reclams Werkmonographien Nr. 127), S. 8 - 12, 14 - 19, 26 - 29. Professor Dr. Ewald Vetter, Heidelberg, sei für den Hinweis herzlich gedankt. ▲