Das Schlössle von Heiligenzell - Friesenheim


Dr. Oskar Kohler: Das Schlößle in Heiligenzell - Geroldsecker Land, Heft 16 - 1974, S. 213 - 219

Wer von Burgheim kommend Heiligenzell betritt, sieht bald eine Gabelung der Straße vor sich. Kurz vor dieser Gabelstelle führt ein Weg nach rechts ab. Geht man diesen Weg hinauf, dann erblickt man zu beiden Seiten, teils hart nach vorn geschoben, teils hinter kleinen Vorgärten sich erhebend, die Wände freundlicher Fachwerkhäuser, daneben auch die bunten Flächen verputzter Wohngebäuden. Am Ende der linken Häuserreihe aber steht abgesondert und inmitten eines ausgedehnten Obstgartens ein größerer Bau. Es ist das alte Heiligenzeller Schlößle. Etwas finster sieht es drein, man könnte fast vermuten, daß es mit seinem Schicksal nicht recht zufrieden sei. Eine mäßig hohe Steinmauer umgibt das ganze Anwesen. Wenn man durch den Toreingang auf die Vorderseite des Gebäudes zugeht, dann fällt einem der linien- und figurenreiche Wappenstein auf, der über dem Eingang sitzt. Das heraldische Bild in der Mitte, aus zwei Ovalen bestehend, zeigt links das Schutterer Klosterwappen, rechts das Wappen des letzten Schutterer Abts Placidus Bacheberle (Bach mit springendem Eber), darüber ein dreiteiliges Gebäudestück. Dieser Wappenstein gibt uns den Schlüssel zur Geschichte des Gebäudes. Die Beziehungen zwischen dem Kloster Schuttern und Heiligenzell sind sehr alt. Schon vor dem Jahre 1000 muß das Kloster auf der Gemarkung dieses Ortes Liegenschaften besessen haben. Als dann Kaiser Heinrich II. im Jahre 1016 auf seiner Reise von Basel nach Straßburg im Schutterer Kloster übernachtete, erweiterte er, um die wirtschaftliche Lage des Klosters zu heben, dessen Besitz in dieser Gegend noch durch eine reiche Schenkung. Auf dem Schenkungsbrief finden wir auch einen Freihof verzeichnet, gelegen zu Heiligenzell oder, wie der Ort damals noch hieß, zu Rutgerisweiler. Hier an dieser Stelle muß wohl das alte Freigut gelegen haben. In ihm war für die Klosterbesitzungen ein Verwaltungsmittelpunkt gegeben.

Das Schlößle in Heiligenzell - Aufn. Arthur Strebler
Das Schlößle in Heiligenzell - Aufn. Arthur Strebler

Als "Freihof" besaß der Hof zugleich die niedere Gerichtsbarkeit, d. h. Streitigkeiten und kleinere Rechtsfälle unter Personen, die zum Bereich des Hofes gehörten, konnten nur vor der Kanzlei zu Schuttern verhandelt werden. Kein Fremder durfte auf dem Gelände des Hofes Rechtshandlungen vornehmen. Verbunden mit dieser "Freiheit" war auch die Bestimmung, daß ein Flüchtiger, der den Hof erreichte, dort ohne Zustimmung des Klosters nicht ergriffen werden durfte.

Das Hauptportal - Aufn. Arthur Strebler
Das Hauptportal - Aufn. Arthur Strebler

Wie haben wir uns nun so ein Freigut vorzustellen? Es war nichts anderes als ein rechtes Bauernanwesen, also eine Gebäudegruppe, bestehend aus Wohnhaus, Stallungen, Scheuer und verschiedenen Anhängseln. Denken wir uns dazu noch das Gegacker und Geschnatter von allerlei Federvieh, das Bellen des Hofhundes, das Brüllen der Kühe, das geschäftige Treiben der Dienstleute, die herumtollenden Kinder des Klostermeiers, dann haben wir das Bild dem wirklichen Leben noch um ein Stück näher gebracht.

Bei dem Bauernhof ist es indessen nicht geblieben. Durch Schenkung und Kauf war allmählich nahezu die Hälfte des Heiligenzeller Bannes in den Besitz des Klosters gekommen. Entsprechend der Wichtigkeit dieses Grundbesitzes wird man schließlich den Bau des Schlößleins in Angriff genommen haben. Im Jahre 1313 kam dazu eine Kapelle, die der Verwalter des Klosters, Berthold von Ottenheim, St. Georg zu Ehren bauen ließ. Feste Mauern und ein Turm vervollständigten die Anlage, die man sich nun aus den genannten Einheiten zusammengesetzt denken muß: dem Schlößle, der Georgskapelle an seiner Seite, dem Meierhaus mit Stallungen, Scheuer und kleineren Nebengebäuden. In dieser Gestalt hat das Ganze Jahrhunderte überdauert. Zwar rüttelte zu verschiedenen Zeiten der Krieg mit rauher Faust an dem Gemäuer, warf auch einmal den einen oder anderen Gebäudeteil über den Haufen. Aber immer wieder wurde das Zerstörte neu aufgebaut, natürlich in der dem Stil der Zeit entsprechenden äußeren Form.

Das Wappen über dem Hauptportal - Medaillon links: Die Stiftung des Klosters Schuttern durch Offo 606 und Heinrich II. 1016 - Medaillon rechts: Wappen des Abtes Placidus Bacheberle von Schuttern - Aufn. Arthur Strebler
Das Wappen über dem Hauptportal - Medaillon links: Die Stiftung des Klosters Schuttern durch Offo 606 und Heinrich II. 1016 -
Medaillon rechts: Wappen des Abtes Placidus Bacheberle von Schuttern - Aufn. Arthur Strebler

Dies war z. B. 1778 der Fall, als das "Meyereihaus" neu erbaut werden mußte. Das Kloster schloß damals einen "Accord" mit dem Meister Heidecker von Oberschopfheim, dem die Zimmermannsarbeiten an dem Bau übertragen wurden. So finden wir noch im Jahre 1806 die "Schlößlin- und Meyereigebäulichkeiten" den obigen Angaben entsprechend beschrieben und von Amts wegen aufgenommen. Aus dem einschlägigen Aktenstück (13. November 1806) sei hier wiedergegeben:

Beschreibung über die dasig an einem Platz beisammen befindlichen Schlösslin- und Meyereigebäulichkeiten, Gärten und Reben, welche durch das aufgelöste Stift Schuttern dem Grossherzogl. Haus Baden zugefallen sind.

Sämtliche diese Gegenstände liegen auf einer Höhe zwischen dem Dörfle Heiligenzell und dem Friesenheimer Hochwald an einem Stück beysammen, wovon der grösste Teil mit einer Mauer umfaßt ist, eine halbe Stunde seitwärts von Lahr und eine Viertelstunde von Friesenheim sowie eine Viertelstunde von Oberweier.

Das Schlössle selbst enthält ein etwas mehr als gewöhnliches dreystöckiges privat Stadtgebäude, 84 Schuh lang, 31 Schuh breit, aus dem man nicht nur die Aussicht über Heiligenzell nach Friesenheim und dortige Gegend hat, sondern auch alle zu diesem Schlüssle gehörigen Gärten und Reben übersehen kann. An der anderen Seite dieses Schlösslein ist das St. Georgen-Kirchlein angehauen, das jedoch das Dorf Heiligenzell nichts angeht und auf welchem jährlich nur einmal auf Georgii zu Ehren des Stifters von Seiten Schutterns Gottesdienst gehalten wurde. Unter diesem Schlösslein befindet sich ein schöner, guter gewölbter Keller, 82 3/4 Schuh lang, 23 3/4 Schuh breit und 23 3/4 Schuh hoch.

In der unteren Etage befinden sich eine Küche, eine Küchenkammer, eine Stube und Nebenkammer. In der zweiten Etage fünf grosse und kleine Zimmer und in der dritten Etage acht dergleichen Zimmer, welche mehrenteil tapeziert sind. Hinter diesem Schlössle liegt ein Hausgarten, vornen ein geräumiger Hof, und auf diesem Hof:

a) Das einstöckige Meyerhaus nebst Stallungen und Holzremisen, und unter diesem Meyerhaus ein grosser und ein kleiner gewölbter Keller nebst einem kleinen Erdäpfelkeller. Der erste ist 100 Schuh lang, 32 Schuh breit und 16 Schuh hoch. Sodann der zweite 25 Schuh lang, 14 Schuh breit und 9 Schuh hoch,

b) Das Trott-Wasch- und Dörrhaus mit zwei kleinen Gärtchen.

c) Das Thurn-Gebäude, unter welchem auch ein gewölbter Keller angebracht ist, 18 3/4 Schuh lang, 16 1/2 Schuh breit und 10 1/2 Schuh hoch. An der unteren Seite dieses Hofes befindet sich ein Baumgarten von 26 Sester 56 Ruthen, und oberhalb diesem Garten die Kappelbergreben von 25 Sester 33 Ruthen und hinterhalb dem Schlüssle zwei Waldacker von 6 Sester.

Teilstück des Nebenportals - Aufn. Arthur Strebler
Teilstück des Nebenportals - Aufn. Arthur Strebler

Das Jahr 1806 war ein Schicksalsjahr für das Schlößle. Das Großherzogliche Haus Baden, dem, wie oben zu lesen war, die Güter des Klosters nach dessen Auflösung zugefallen waren, ließ die Gebäulichkeiten samt den Feldern und Reben versteigern. Für die Heiligenzeller war dies eine erwünschte Gelegenheit, ihren Lebensraum zu erweitern. Das Schlößle freilich ließ sich in der kleinen Gemeinde nicht an den Mann bringen. Dagegen fand sich drüben in Lahr ein Liebhaber. Der dortige Bürgermeister und Tabakfabrikant Johann Jakob Hugo und dessen Schwiegersohn Franz Meister boten für das Hauptgebäude, das eigentliche Schlößle, 6.000.- Gulden. Sie beabsichtigten, darin eine Zichorienfabrik aufzumachen. Der diesbezügliche Bericht in den Akten lautet:

"Es wäre der Bürgermeister und Tabaksfabrikant Johann Jakob Hugo von Lahr und dessen Tochtermann Franz Meister zu Lahr willens, in dem Schlösslinsgebäude eine Zigorienfabrik zu errichten, und für dasselbe nebst einigen, jedoch unbedeutenden Nebengebäuden und 2 Sester 83/4 Ruthen Gartenplatz 6.000.- Gulden zu bezahlen."

Nach längerem Hin und Her ging das Schlößle zu dem genannten Preis in den Besitz der beiden über. Die Zichorienfabrik wurde unter der Firmenbezeichnung "Hugo Gebrüder" eingerichtet. Später wurde sie von der Zichorienfabrik Daniel Voelcker in Lahr übernommen.

Placidus Bacheberle, letzter Abt zu Schuttern 1782 - 1803 - Gemeindearchiv Heiligenzell
Placidus Bacheberle, letzter Abt zu Schuttern 1782 - 1803 - Gemeindearchiv Heiligenzell

Von jetzt an ändert sich das Bild der "Schlösslinsgebäude" sehr rasch. Der Turm, die Georgskapelle, das Meiergebäude samt seinen Anhängseln verschwanden. Nur das Schlößlein selbst blieb erhalten.

In der Folgezeit wechselte es gar oft seinen Besitzer, bis es 1926 von der Gemeinde Heiligenzeil gekauft wurde, die es der Zigarrenfabrikation und gewerblichen Kleinbetrieben zur Verfügung stellte, um es dann schließlich, und das bis heute, als Miethaus zu Wohnzwecken zu verwenden.

Der "berühmteste" Besitzer war wohl der Großherzoglich Badische Major und Fabrikant Hermann Graumann, der "tolle Reiter" und "verrückte Baron" (vgl. den Aufsatz: Hermann Graumann, der "tolle Reiter", von Emil Ell in Heft 3 1960 / 61 S. 159 dieses Jahrbuchs). Daraus entnehmen wir:

Er war der Sohn des Lahrer Bürgermeisters (1832 - 1834) und Kaufmanns Johann Friedrich Graumann, der seine Geschäfte im Koppschen Anwesen am Bärenplatz betrieb. Seine Mutter war die zweite Frau Johann Friedrich Graumanns, die Tochter Annemarie des Landwirts Andreas Sohn, der 1795 die aus Kippenheim gebürtige Marie Magdalena Stulz, geheiratet hatte, die Schwester des Schneiders und späteren Barons Johann Georg Stulz von Ortenberg. Dorther stammte der Reichtum Graumann. Aber was der fleißige Kippenheimer Schneider in einem arbeitsreichen Leben erworben hatte und was der Vater Johann Friedrich Graumann noch zusammenhielt (die Hälfte des Stulzschen Erbes), das brachte der Pferdefan und Freund aufwendigen Lebens in einem halben Jahrzehnt durch.

Hermann Graumann, der "tolle Reiter" - Gemeindearchiv Heiligenzell
Hermann Graumann, der "tolle Reiter" - Gemeindearchiv Heiligenzell

Die väterliche Zichorienfabrik genügte ihm nicht. Er baute in Heiligenzell an der Straße nach Friesenheim eine Dampfziegelei. Mit den dort produzierten Backsteinen ließ er um 1850 das "Neue Schlößle" bauen, ein herrschaftliches Haus mit großen Pferdestallungen. Es ist das heutige Schwesternheim der Gengenbacher Franziskanerinnnen neben der Kirche. Er ist auch der Erbauer des Gasthauses zum "Hirschen" in Heiligenzell. Über dessen Eingangstüre ließ er die Steinskulptur mit dem Bilde des hl. Georg anbringen, die von der abgebrochenen St. Georgskapelle beim (alten) Schlößle stammt.

Als der "tolle Reiter" sein Vermögen ruiniert hatte, ließ er seine Schulden und seine Frau Auguste geb. Deimling aus Lahr zurück und schiffte sich übers große Wasser nach New York ein. Jahre später findet man ihn in den Karpathen als k. u. k. (Offizier?).

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